Diktatur des Heimischen. Zur Phänomenologie einer „radikalen Politik“ in Polen

Lecture

Die Politik der polnischen Regierung, die nach Ansicht vieler seit 2015 gegen Regeln der konstitutionellen Demokratie verstößt, wird häufig als ein Beispiel für den sich global durchsetzenden Populismus bzw. als "Verlockung des Autoritären" (Applebaum 2021) interpretiert. Daneben finden sich Erklärungsmuster, welche die gegenwärtigen Tendenzen in Polen stärker lokal als Erbe einer spezifisch mittel-osteuropäischen, eher ethnisch als politisch konnotierten Idee der Nation begreifen. Als Versuch, über beide Ansätze hinauszugehen, analysierte der Vortrag von Andrzej Gniazdowski diese Tendenzen in einem sowohl historisch als auch theoretisch breiteren Kontext.

In kritischer Anknüpfung an die ideengeschichtliche Interpretation des polnischen Sonderwegs zur Moderne von Andrzej Walicki, der die Möglichkeit eines politischen Begriffs der Nation in Polen auf die Tradition des altpolnischen Adelsrepublikanismus zurückführt (Walicki 1989, 1994), versuchte der Vortrag, diesen eigentümlichen, oligarchischen Republikanismus als eine Form des Radikalismus auszulegen. Diese Lesart des polnischen Sonderwegs ergab sich für Gniazdowski aus der Genealogie des politischen Radikalismus als „säkularisierter theologischer Begriff“ (Schmitt 1996), dessen Ursprung er im Kontext der Gegenreformation und des seinerzeit geführten Streites um die Willensfreiheit verortete. Von der bürgerlichen Ausprägung radikaler Politik wie bei den englischen Utilitaristen und französischen Jakobinern unterscheidete Gniazdowski eine ständisch bestimmte Politik z.B. der frondischen oder sarmatischen Adelsradikalen und erklärte damit die antiliberalen Tendenzen in Polen als ein spätes, unbewältigtes Erbe des polnisch-litauischen, republikanischen Adels und seines „Jakobinismus“ avant la lettre.

Für eine menschenrechtsorientierte rechtsstaatliche Demokratie stellen die autoritären Strömungen in den gegenwärtigen Gesellschaften eine große Herausforderung dar. Gniazdowski analysierte diese Entwicklung im Lichte seiner ideengeschichtlichen Forschungen und am Beispiel von Phänomenologen wie Dietrich von Hildebrand und Aurel Kolnai, die sich für den politischen Katholizismus der Dollfuß-Diktatur in Österreich engagierten.

Andrzej Gniazdowski ist Professor am Institut für Philosophie und Soziologie der Polnischen Akademie der Wissenschaften.

IWM Permanent Fellow Ludger Hagedorn moderierte den Vortrag.