„Wir werden auf Russisch ermordet.“ Plädoyer für eine involvierte Sprache

Lecture

Der Russisch-Ukrainische Krieg hat den Osteuropadiskurs nachhaltig erschüttert. Nаchdem geokulturelle Konfrontationen des „Ostens“ und „Westens“ seit dem Ende des Kalten Kriegs fast schon erledigt schienen, beobachten wir derzeit ein bemerkenswertes Wiederaufleben der Block-Konfrontationen. Es stellen sich unerwartete Fragen: Wie ist ein Osten neu und wieder zu denken unter den Prämissen einer Dekolonisierung Russlands, gerade im Hinblick auf kulturelle und sprachliche Hegemonien? Kann die russische Kultur „bestraft“ werden (Oleksiy Radynski), und wenn ja, von wem und wie? Gewinnt der Westen eine neue historische Bedeutung ausgerechnet als antihegemoniale Projektionsfläche? Schließlich: Was heißt es vor diesem Hintergrund, unseren eigenen Diskurs zu dekolonisieren? Mehr...

Die Jan Patočka Memorial Lectures des IWM finden seit 1987, dem zehnten Jahr nach dem Tod des Philosophen, statt. Jan Patočka (1907-1977) gilt als einer der herausragenden Denker Mittelosteuropas im 20. Jahrhundert; er war Mitgründer und Sprecher der Bürgerrechtsbewegung Charta 77. Seine Werke wurden am Institut für die Wissenschaften vom Menschen seit den 1980er Jahren erschlossen und publiziert. Die nach ihm benannte Vorlesungsreihe wurde von Hans-Georg Gadamer eröffnet und findet in diesem Jahr zum 33. Mal statt. Frühere Vorträge im Rahmen der Reihe wurden gehalten von prägenden Persönlichkeiten des intellektuellen Lebens wie Nancy Fraser, Paul Ricoeur, Lord Dahrendorf, Mario Vargas Llosa, Albert O. Hirschman, Francois Furet, Jaques Derrida, Leszek Kolakowski, Lord Skidelsky, Chantal Mouffe und Aleida Assmann.

Georg Witte ist Slawist, Übersetzer, Lyriker. Von 2013-19 war er Geschäftsführender Direktor des Peter-Szondi-Instituts für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft an der FU Berlin. Einen wichtigen Schwerpunkt seiner Arbeit als Forscher und Übersetzer bildet die Literatur der Sowjetunion, speziell die experimentelle und inoffizielle Lyrik der 1960er bis 80er Jahre. 2019 wurde er Direktor der Abteilung für Philologie an der Higher School of Economics in St. Petersburg, wo er unmittelbar nach der russischen Invasion der Ukraine kündigte. Unter dem Titel „Putins Nützliche Idioten“ wandte er sich im Juli 2022 in einem vielbeachteten Artikel für die F.A.Z. gegen die „Lüge von der Aussichtslosigkeit des Widerstands“ und die entsprechenden Appelle deutscher Intellektueller.

Misha GlennyRektor des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM), hat die Veranstaltung eröffnet.

Ludger Hagedorn, IWM Permanent Fellow, hat die anschließende Diskussion moderiert.

Eine Aufnahme der Vorlesung ist hier verfügbar: