Am 11. Februar 2013 starb Krzysztof Michalski, Gründungsrektor des IWM, der mehr als 30 Jahre maßgeblich die Geschicke des Instituts prägte und dessen Geist noch heute fortwirkt.
Anlässlich dieses 10. Todestages erinnerte das IWM gemeinsam mit dem Polnischen Institut in Wien an den Philosophen und charismatischen Wissenschaftsmanager. Der Abend Krzysztof Michalski in memoriam brachte viele seiner Wegbegleiter und Bewunderer zusammen, um auf Polnisch, Englisch und Deutsch, den drei Sprachen, zwischen denen Michalski wie selbstverständlich wechselte, an sein Wirken zu erinnern.
Zur Eröffnung des Abends rezitierten Monika Szmigiel-Turlej, Direktorin des Polnischen Instituts, und Ludger Hagedorn, IWM Permanent Fellow und Kurator dieses Abends, ein Gedicht des polnischen Lyrikers Adam Zagajewski, das er unmittelbar nach Michalskis Tod über seinen Freund verfasste.
Das festliche Geleit für den Abend gab eine Ansprache von IWM-Präsident Heinz Fischer, der u.a. an persönliche Begegnungen mit Michalski zu seiner Zeit als österreichischer Wissenschaftsminister (1983-87) und somit an die Anfangsjahre des IWM erinnerte.
Ein langjähriger und enger Freund Michalskis war Karel Schwarzenberg, ehedem Außenminister der Tschechischen Republik und nach der Samtenen Revolution für einige Jahre Kanzler des Staatspräsidenten Václav Havel. Seine Worte wurden zu einer bewegenden Erinnerung an beide Persönlichkeiten:
Ein großer Europäer bin nicht ich, ein großer Europäer war Krzysztof Michalski. Und ich gebe zu, sein Verlust ist für mich wahnsinnig bedeutend gewesen. Über Jahrzehnte haben wir uns unzählige Male getroffen, Pläne geschmiedet, manche auch durchgeführt. Michalski war ein besonderer Mensch: ein polnischer Patriot, aber frei von jeglichem Chauvinismus, mit gesunder Kritik auch seiner eigenen Nation gegenüber. Er war jemand, der genial vermittelt hat zwischen den Ländern, die damals noch hinter dem Eisernen Vorhang waren, und der freien Welt, und das Institut, das er gegründet hat, war dafür wesentlich. Ich glaube, wenige Leute wissen, wie viele Menschen, die in Mittel- und Osteuropa später eine große Rolle gespielt haben, durch das Institut gegangen sind. Und sie alle wurden angesteckt vom Geist Michalskis. Sein großer Verdienst ist das Bewusstsein um die Notwendigkeit des Kampfes für die Freiheit und um die Notwendigkeit, eine tiefe geistige Grundlage für sie zu schaffen. Niemand hat das so erfasst wie er, vielleicht auch, weil er von Berufs wegen Philosoph war. Er war aber auch ein Mensch, der die Philosophie in Praxis umgesetzt hat, und dafür sind wir ihm noch heute ungeheuer dankbar. Sein Verlust, viel zu früh, ist heute noch überall spürbar. Ich sehe niemanden, der seine Position zur Gänze ausfüllen würde. Es waren zwei Leute, die innerhalb eines Jahres verstorben sind: der eine war Václav Havel und der andere Krzysztof Michalski. Havel war derjenige, der als Präsident überall bekannt wurde, Michalski wirkte im Hintergrund. Aber ich weiß nicht, wer mehr beigetragen hat zur Freiheit in Osteuropa. Ich habe manchmal das Gefühl, dass Michalski im Hintergrund einen größeren Einfluss hatte. Seien wir ihm dafür dankbar und gedenken wir seiner – nicht nur alle zehn Jahre, sondern in der täglichen politischen Arbeit.
Zusammen mit Krzysztof Michalski und Cornelia Klinger ist Klaus Nellen einer der Mitbegründer des IWM und jemand, der über Jahrzehnte das Gesicht dieses Instituts ganz maßgeblich geprägt hat, dies nicht zuletzt in Form der institutseigenen Revue Transit, die Nellen von 1990 bis 2019 redaktionell betreute. In seinem Rückblick betonte er, wie sehr die wagemutige Entscheidung zur Gründung des Instituts auch vom Wind der Geschichte mitgetragen wurde, und vor welchen Herausforderungen es heute steht:
Die gemeinsame Gründung des Instituts war ein gewagtes Unternehmen, aber die Entscheidung mitzumachen erwies sich als die beste meines Lebens. Nicht nur hat das Institut, wie ich glaube, in den Zeiten eines epochemachenden Umbruchs ein wenig dazu beigetragen, die Welt zum Besseren zu verändern, es war in all den Jahren für mich auch eine Schule sowohl der Reflexion als auch der Empfindsamkeit im Sinne einer Sensibilisierung durch Konfrontation mit ganz anderen Erfahrungen. Und es war ein enormes Privileg, die besten Köpfe der Zeit zu Gast zu haben und sich mit ihnen unterhalten zu dürfen – und ich meine nicht nur die etablierten Alten, sondern auch die unruhigen Jungen. Dafür bin ich bis heute dankbar.
Die Wende von 1989 ist uns unverhofft in den Schoß gefallen, und unsere Arbeit stand fortan viele Jahre unter einem guten Stern. Nicht erst seit der russischen Invasion der Ukraine scheint hingegen ein Unstern über Europa zu walten. Die Aufgaben, vor denen das Institut – und sein neuer Rektor – heute stehen, mögen in manchem ganz ähnlich sein wie damals (noch immer oder schon wieder), was aber fehlt, ist der Rückenwind der Geschichte. Ein kalter Wind bläst uns ins Gesicht, aus einer Zukunft, die ungewiss ist.
Der Theologe Piotr Kubasiak lernte Michalski zwar nie persönlich kennen, verbrachte aber als IWM Visiting Fellow wiederholt Zeit am Institut und veröffentlichte im Jahr 2020 seine Dissertation zu Europa und Geschichte im Denken von Krzysztof Michalski. Mit Blick auf dessen Wirken sagte er:
Für mich ist Michalski in erster Linie ein Philosoph und ein Denker. Ein polnischer Denker, der aber eine Bedeutung über Polen hinaus entfaltet hat, nicht nur wegen seiner politischen Wirkung oder seines Wissenschaftsmanagements, sondern weil er einige Gedanken formuliert hat, die, wie ich glaube, eine universelle Bedeutung haben können. Ich möchte drei Punkte nennen, die für mich an seiner Philosophie besonders wichtig sind: Erstens hat Michalski mit seinem Werk gezeigt, dass die Philosophie keine abstrakte Wissenschaft ist oder sein kann, sondern dass die Philosophie uns etwas angehen muss. Er schreibt: „Ein Philosoph bewegt uns, wenn er uns unsere Situation besser verstehen lässt (…) wenn er etwas direkt zu uns sagt, eben über die einzigartige Lage, in der wir uns gerade befinden.“ Ich glaube, Michalski hat das mit seinem Leben und seiner Philosophie zu tun versucht. Da wir als Menschen niemals alleine sind, war sein zweiter Gedanke, dass man auch auf die anderen schauen muss. Und so, ausgehend vom christlichen Begriff der Nächstenliebe, schrieb Michalski: „Die Anwesenheit Gottes in unserem Leben ist eine in ihm versteckte Aufforderung der Liebe zu anderen Menschen, solcher Liebe wie die der Mutter zum Kind, egal ob das Kind ein Drecksack, ein Trottel oder Angelina Jolie ist.“ Wir sind, so der dritte Gedanke, nicht nur für unsere Kinder oder unsere Mitmenschen da, wir tragen auch Verantwortung dafür, was um uns herum in der Gesellschaft passiert. Deshalb schreibt Michalski: „Es kommt sehr wohl darauf an, was jeder von uns tut und lässt, was wir sagen oder verschweigen, weil davon hängt es ab, welchen Sinn unser eigenes Leben annehmen wird und damit auch manches, was wir in unserer Welt vorgefunden haben – Europa zum Beispiel.“
Abschließend gab Kubasiak seine ganz persönliche Empfehlung zur Lektüre von Michalskis Büchern ab, denn „mit Michalski kann man die Welt wahrscheinlich ein wenig besser verstehen und sicher mehr genießen.“
Weitere Würdigungen von:
James Dodd, New School for Social Research (Videobotschaft)
Agnieszka Pasieka, Elise Richter Research Fellow Universität Wien
Marci Shore, Yale University (Videobotschaft)
Timothy Snyder, Yale University/ Permanent Fellow IWM (Videobotschaft)