In Dankbarkeit verabschiedet sich das IWM von István Deák. In den 1990er Jahren regelmäßig Visiting Fellow des Instituts, war er wesentlich an dem großen Forschungs-Projekt „Rethinking Post-War Europe“ beteiligt, das einen Paradigmenwechsel in der jüngeren Zeitgeschichtsschreibung einleitete. Es brachte zum ersten Mal nach der Wende Historikerinnen und Historiker aus dem Westen mit ihren osteuropäischen Kolleg:innen zusammen, um die Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs auf die Nachkriegszeit aus einer gesamteuropäischen Perspektive zu erforschen. Zwei Wegbegleiter des großen Gelehrten erinnern an sein Leben und Werk.
Am 10. Jänner 2023 starb István Deák, einer der angesehensten Mitteleuropa-Historiker unserer Zeit, im 97. Lebensjahr.
Am 11. Mai 1926 im ungarischen Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) geboren, erlebte er als junger Mann die Schrecken des Zweiten Weltkriegs. Wegen seiner jüdischen Herkunft musste er in einer Arbeiterformation dienen, konnte sich aber 1944 in Budapest verstecken und entging so den Deportationen. 1948 verließ er Ungarn nach der kommunistischen Machtübernahme und setzte sein Studium an der Sorbonne fort. Er arbeitete als Journalist für Radio Free Europe in München, konnte 1956 nach New York emigrieren und wurde 1964 an der Columbia University mit einer Arbeit über die Kulturpolitik der Weimarer Republik promoviert.
Er lehrte weiter an der Columbia University und leitete bis 1979 das Institute on East Central Europe. Zahlreiche seiner Dissertanten sind inzwischen selbst als Professoren an verschiedenen Universitäten tätig. Dadurch trug er wesentlich zur Entwicklung der „Habsburg Studies“ im angelsächsischen Raum bei, zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Mittel- und Osteuropa.
In Österreich bekannt ist er vor allem durch seine beiden Bücher über die ungarische Revolution von 1848 (Die rechtmäßige Revolution, 1989) und über das k.(u.)k. Offizierskorps (Der K.(u.)K. Offizier: 1848 – 1918, 1991), die bis heute als Standardwerke zur Geschichte der Habsburgermonarchie gelten.
Darüber hinaus beschäftigte er sich in zahlreichen Aufsätzen mit dem Zweiten Weltkrieg und dem Holocaust. 2000 gab er (mit Jan T. Gross und Tony Judt) den Sammelband The Politics of Retribution in Europe heraus; 2001 erschien der Band Essays on Hitler's Europe. Dies waren Vorarbeiten zu seinem umfassenden Buch Kollaboration, Widerstand und Vergeltung im Europa des Zweiten Weltkriegs (2017). Deák sparte darin nicht mit Kritik an den europäischen Staaten, deren Passivität bis 1940 die deutschen Erfolge überhaupt erst ermöglichte – daher auch der englische Titel „Europe on Trial“.
Nach seiner Emeritierung unterrichtete István Deák weiter an der Columbia University, war Gastprofessor an der Stanford University und Gastforscher am Wiener Institut für die Wissenschaften vom Menschen.
Eine wichtige Stütze war ihm seine Frau Gloria (geb. Alfano), Kunsthistorikerin und Autorin mehrerer Bildbände über New York und Nordamerika (Picturing New York und Picturing America). Zusammen führten sie ein jederzeit offenes Haus für Studierende, Freunde, Kolleginnen und Kollegen, die nach New York kamen, und boten allen großzügig Quartier und Unterstützung. Seine Studierenden wurden von Schülern zu Freunden. Bemerkenswert waren seine Lebensfreude, sein Humor, die Lust an Freundschaften und seine absolute Loyalität. Dazu kam sein sportliches Engagement – er nahm mehrmals am New York Marathon teil.
Erwin A. Schmidl und Waltraud Heindl
Erwin A. Schmidl, Militärhistoriker, lehrt an der Universität Innsbruck und leitete bis 2021 das Institut für Strategie und Sicherheitspolitik an der österreichischen Landesverteidigungsakademie.
Waltraud Heindl lehrte Neuere Geschichte am Institut für Geschichte der Universität Wien; von 1997 bis 2001 leitete sie das Österreichische Ost- und Südosteuropainstitut.
Fotocredit: © Dr. Lonnie Johnson