Auf Einladung des IWM kam die bedeutende polnische Autorin nach Wien, um im Rahmen einer Wiener Vorlesung zum ersten Mal seit Pandemiebeginn vor Publikum zu sprechen.
Wenn eine Nobelpreisträgerin kommt, ist das Interesse groß: Olga Tokarczuk in Wien bewegte das Publikum. Natürlich war die Säulenhalle des MAK Wien ausgebucht. Viele warteten trotzdem vor der Tür und hofften auf Einlass in letzter Minute. Ein großer Abend war es insbesondere für die polnische Community in Wien.
Alle Auflagen der Pandemie erfüllt und trotzdem das Vibrieren eines besonderen Ereignisses in der Luft: Nicht nur für Olga Tokarczuk war es der erste Auftritt bei einer großen öffentlichen Veranstaltung seit dem Frühjahr 2020, auch das Publikum genoss die Rückkehr zu einem lang vermissten Erlebnis. Die Säulenhalle des MAK Wien bot das perfekte Ambiente. Eingeladen zu diesem Abend hatte das IWM zusammen mit den Wiener Vorlesungen.
Steffi Krautz und Markus Meyer lasen „bizarre Geschichten“ aus dem Werk Olga Tokarczuks. Burgtheater-Schauspieler Markus Meyer kannte und schätzte ihre Literatur bisher nur als stiller Leser, Steffi Krautz war schon im Sommer 2020 Soloakteurin für ein Streaming von Olga Tokarczuks „Gesang der Fledermäuse“ im Wiener Volkstheater und ist seither ebenfalls begeisterte Leserin. Eingerichtet wurde der Abend von Anna Badora.
IWM Permanent Fellow Ludger Hagedorn begrüßte das Publikum und dankte allen Mitwirkenden, die diese Veranstaltung unter erschwerten Umständen dennoch möglich gemacht hatten. Hagedorn betonte, wie sehr die Literatur der Nobelpreisträgerin geprägt ist von dem Vermögen, subtile Veränderungen zu denken, die schließlich grundstürzende Konsequenzen haben. Oft geht es um Erfahrungen von Ohnmacht, die sich „von den Rändern der Welt“ her aufdrängen, wobei diese Ränder für die Psychologin Tokarczuk meist im Innern der Protagonisten zu finden sind.
Veronica Kaup-Hasler, Amtsführende Stadträtin für Kultur und Wissenschaft, begrüßte für die Stadt Wien und charakterisierte Olga Tokarczuk als zärtliche Erzählerin mit viel Empathie für die Welt. Tokarczuk sei eine große Stimme der Literatur, die umso wichtiger werde in Zeiten, wo Menschen und Staaten sich zunehmend entsolidarisierten.
Martin Pollack, Journalist, Übersetzer aus dem Polnischen und selbst ein viel gelesener Schriftsteller, war der kongeniale Partner für das Gespräch mit Olga Tokarczuk. Darin ging es um neue Erfahrungen des Schreibens, die die Pandemie mit sich gebracht hat, aber auch um Literatur als Form des Protestes und wie sich dieser unter den gegenwärtigen Bedingungen neu erfinden muss.
In ihrem bewegenden Schlusswort sprach Olga Tokarczuk über die vielen Wurzeln der polnischen Kultur, die sie etwa in ihren monumentalen „Jakobsbüchern“ geschildert hat. Sie versteht dies als ein Plädoyer für Vielfalt. Auch unterstrich sie, wie oft in der Geschichte Menschen aus Polen Aufnahme in anderen Ländern fanden, nicht zuletzt auch in Österreich, woraus sich für sie eine Verpflichtung für die Gegenwart ergibt.
Der Abend endete mit einer langen Schlange vor dem Stand der Polnischen Buchhandlung, die speziell für diese Veranstaltung eine Lieferung vom Kampa-Verlag mit dem eigentlich erst im Oktober erscheinenden neuen Essayband der Autorin erhalten hatte. Der Band trägt den bezeichnenden Titel „Übungen im Fremdsein“.