Übersetzung ist eine der wichtigsten, aber kaum angemessen gewürdigten intellektuellen Leistungen. Ludger Hagedorn stellt das Paul Celan- Programm für Übersetzerinnen und Übersetzer am IWM vor.
Obwohl die Arbeit von Übersetzerinnen und Übersetzern für den literarischen und akademischen Diskurs unerlässlich ist, wird sie nicht nur schlecht bezahlt (in manchen Fällen vielleicht gar nicht), sondern auch in der Öffentlichkeit wenig wahrgenommen. Dabei ist die Arbeit des Übersetzens zeitaufwendig und mühsam und verlangt große Kreativität und ein ausgeprägtes Sprachgefühl.
Der größte Erfolg einer Übersetzung besteht darin, dass die geleistete Arbeit so gut ist, dass den Leserinnen und Lesern gar nicht bewusst wird, dass es sich um eine Übersetzung handelt. Folglich werden Übersetzerinnen und Übersetzer in Buchbesprechungen zwar meist pflichtschuldig irgendwo erwähnt (offensichtlich handelt es sich um eine gute Übersetzung), sollten sie aber mehr Aufmerksamkeit erfahren, dann fast immer im Tone der Kritik, weil der sprachliche Reichtum, die feinen Differenzierungen etc. des Originals verloren gegangen seien.
Das Paul Celan-Programm ist eines der ältesten Programme des IWM und weltweit wohl eines der ganz wenigen, die ausdrücklich der Übersetzung von Sachbüchern gewidmet sind. Fellows werden zu einem (in der Regel dreimonatigen) Aufenthalt ans Institut eingeladen, um in dieser Zeit an der Übersetzung eines wichtigen Buches aus den Geistesund Sozialwissenschaften zu arbeiten. Das Programm bietet den Fellows die Gelegenheit, sich für eine gewisse Zeit ganz auf ein Übersetzungsprojekt zu konzentrieren, was im normalen Berufsalltag oft wegen anderer paralleler Verpflichtungen nicht möglich ist. Aber nicht nur das: Übersetzerinnen und Übersetzer arbeiten oft in der Isolation, der Aufenthalt am Institut bietet dagegen die Gelegenheit, Übersetzungsfragen mit der Gruppe der Fellows im Hause zu diskutieren, die Infrastruktur und die Bibliothek des IWM zu nutzen sowie an vielen öffentlichen und akademischen Veranstaltungen teilzunehmen. Für die Fellows des Celan-Programms ist beides ein Privileg, das sie ansonsten kaum genießen, und entsprechend erfahren sie den Aufenthalt zumeist als große Bereicherung und Antrieb für ihre Arbeit.
Seit der Einführung des Programms werden Fellowships für Übersetzungen verliehen, die entweder aus oder in eine osteuropäische Sprache erfolgen müssen. Auf beiden Seiten, „Ost“ wie „West“, hat die jahrzehntelange Spaltung Europas nach dem Zweiten Weltkrieg tiefe Spuren hinterlassen und die wechselseitige Rezeption von Literatur und Debatten in den Geistesund Sozialwissenschaften erheblich behindert. Diese noch immer bestehenden Schieflagen und Diskrepanzen zu überwinden, ist ein wesentliches Anliegen des Programms. Die Tatsache, dass die überwältigende Mehrheit der Übersetzungen, die bislang im Rahmen des Programms erfolgten, Übertragungen in eine osteuropäische Sprache waren, könnte eine Widerspiegelung des nach wie vor herrschenden Ungleichgewichts im wechselseitigen Interesse von Ost und West sein. Man sollte jedoch auch berücksichtigen, dass hier ganz basale ökonomische Gründe eine Rolle spielen: für viele Verlage in osteuropäischen Ländern wäre es oft schlichtweg unmöglich, die Herausgabe eines Buches zu realisieren, wenn es keine externe Unterstützung für die Übersetzung gäbe, wie sie eben dieses Programm anbietet.
Ein solches Programm entfaltet seine Wirkung nur langfristig. Sein Erfolg verdankt sich dem Engagement und dem langen Atem seiner Förderer und Partner. Das waren über viele Jahre die Bosch Stiftung, Stuttgart, und die Erste Stiftung, Wien, die es möglich gemacht haben, dass ein so besonderes und wichtiges, aber in den Augen der meisten Sponsoren wenig publicity-trächtiges Programm im Stillen sich entfalten konnte. Seit 2020 wird es nun von der S. Fischer Stiftung, Berlin, unterstützt, die sich auch auf anderen Feldern für die Belange der Übersetzung starkmacht. Mit ihr hat das Programm einen idealen neuen Partner gefunden.
Insgesamt wurden bislang 149 Übersetzungsprojekte realisiert – eine stolze Zahl. Ein Rückblick auf alle diese Projekte sollte eigentlich niemanden besonders hervorheben, eben weil alle Übersetzungen auf ihre Weise wichtig und unersetzlich sind. Gleichwohl müssen mit Blick auf die Prominenz der Namen zwei Ausnahmen erlaubt sein. Einer der allerersten Fellows im Rahmen des Programms war nämlich Zoran Djindjic, späterer serbischer Premierminister, der während seines Aufenthalts Husserls Krisis übersetzte. Ein anderer prominenter Gast war Imre Kertész, Nobelpreisträger für Literatur im Jahre 2002, der am IWM an einer ungarischen Übersetzung von Ludwig Wittgensteins Vermischten Bemerkungen arbeitete.
Ein Paul-Celan-Projekt, auf das das IWM besonders stolz ist, ist die Übersetzung von Thomas Pikettys weltweitem Bestseller Le Capital au XXIe siècle ins Slowenische von Vesna Velkovrh Bukilica. Vesna war für drei Monate im Sommer 2015 Fellow am IWM. Sie machte das Beste aus ihrem Fellowship und schloss die Übersetzung in der Zeit ab. Schon kurz nach ihrem Aufenthalt konnte das Buch in Druck gehen, und einige Wochen später schrieb die glückliche und stolze Übersetzerin folgende Notiz an ihre neuen Bekannten am IWM: „Vielleicht interessiert Euch der Hinweis, dass die Piketty-Übersetzung im Oktober 2015 das berühmt-berüchtigte 50 Shades of Grey (!) vom ersten Platz der slowenischen Bestsellerliste verdrängt hat ...“, gefolgt von einem Smiley.
Ich habe Vesna Velkovrh Bukilica, um ein Interview gebeten. Ich danke ihr sehr, dass sie dieser Bitte entsprochen hat und damit dem ansonsten stillen Geschäft der Übersetzung eine Stimme und ein Gesicht gegeben hat. Gerne möchten wir beide dieses Gespräch als eine symbolische Geste verstehen, in der auch die anderen 148 Übersetzerinnen und Übersetzer des Paul CelanProgramms zu Wort kommen.
Klicken Sie hier, um das Interview zwischen Ludger Hagedorn und Vesna Velkovrh Bukilica zu lesen
Ludger Hagedorn ist Permanent Fellow am IWM.