Die Konversion von Asylsuchenden stellt die zuständigen Behörden vor eine heuristische Herausforderung. Säkular-juristische Regime von Beweisführung sind oftmals nicht mit religiösen Wahrheitsvorstellungen vereinbar. Die Auswirkungen dieses bürokratischen Misstrauens zeigen sich auch innerhalb der Religionsgemeinschaften.
Der vergleichsweise hohe Anstieg an Asylanträgen in Österreich während der sogenannten „Europäischen Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016 hatte zur Folge, dass sich deren bürokratische Bearbeitung oftmals über mehrere Jahre prolongierte. Eine Sonderstellung kam dabei jenen Geflüchteten zu, die a) die afghanische Staatsbürgerschaft innehatten und b) sich auf Religion/Konversion/Apostasie als Grund für asylrelevante Verfolgung beriefen. Dies erklärt sich einerseits dadurch, dass für diese Gruppe der Anteil an erstinstanzlichen, negativen Asylbescheiden – etwa im Vergleich zu Syrer:innen – sehr hoch ausfiel und andererseits viele Afghan:innen – oft im Unterschied zu iranischen Christ:innen – erst während ihres Aufenthalts in Österreich konvertierten. Letzteres galt bereits vor der Wiedererlangung der Macht durch die Taliban 2021 als eine potentiell große Gefahr für zurückgekehrte Personen.
Aus bürokratischer Sicht stellen die Asylverhandlungen von sogenannten „Apostat:innen“ insofern eine Besonderheit dar, als hier ein Feld konstituiert wird, in welchem säkuläre Vorstellungen von faktenbasiertem Wissen und Beweisführung mit glaubensbezogenen Fragen von „Verinnerlichung“ des Glaubens etc. aufeinanderprallen. Der zuständigen Behörde also dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA), bzw. in zweiter Instanz dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) kommt dabei die Aufgabe zu, zu entscheiden, ob einer konvertierten Person im Falle einer Rückkehr Gefahr drohen würde. Dabei ist umstritten, inwieweit und mit welcher Methodik z.B. die „Echtheit“ einer Konversion beurteilt werden kann und soll. Ähnlich wie in Fällen von Asylsuchenden, denen aufgrund ihrer Sexualität oder ihrer (so betitelten) „westlichen Orientierung“ Gefahr im Herkunftsland droht, besteht auch für den Umgang mit ehemals muslimischen Konvertit:innen und Atheist:innen kein institutionell festgelegtes Verfahren zur Feststellung der „Authentizität“ einer Konversion; die Indikatoren etablieren sich erst in der juristischen Praxis.
Indikatoren für eine „echte“ Konversion
Die Aussage eines Richters am BVwG „Ich kann nicht in einen anderen Menschen hineinschauen“ bringt die Einstellung vieler bürokratisch verantwortlichen Personen in dem Feld auf den Punkt. Obwohl die zuständigen Akteur:innen in Gesprächen oftmals darauf verweisen, dass „die Konversion selbst“ nicht von der Behörde evaluiert würde, so kristallisieren sich mittels einer Analyse der Protokolle und durch teilnehmende Beobachtung während der Verhandlungen doch (zumindest) fünf Indikatoren für die „Echtheit“ einer Konversion heraus: Wissen über den neuen Glauben; Ablehnung des alten Glaubens; der Zeitpunkt der Konversion; die Öffentlichkeit der Konversion; und die emotionale Performance der Asylsuchenden. Gemein ist diesen Anforderungen, dass das richtige Maß oftmals schwer einzuschätzen ist und vermeintliche Beweise für eine „echte“ Konversion auch ins Gegenteil umgedeutet werden können. So ist es etwa bezüglich des Wissens um die neue Religion wichtig, nicht nur formale Fakten aufzuzählen und Gebete vorzutragen, sondern auch die Bedeutung dieses Wissens für die eigene Lebensgestaltung klar in Worte zu fassen. Ähnliches gilt für die Ablehnung des muslimischen Glaubens: diese sollte eindeutig zum Ausdruck gebracht werden, ohne dabei auf vermeintlich „auswendig gelernte“ Gemeinplätze zurückzugreifen. Hinsichtlich der Öffentlichkeit der Konversion wird von den Asylsuchenden erwartet, dass sie ihre neuen Überzeugungen mit anderen Menschen (auch via Social Media) teilen, was die Verfolgungsgefahr im Falle einer Abschiebung noch zusätzlich erhöht. Asylsuchende geraten so in eine schier unmögliche Position bei dem Versuch, ihre neue Weltanschauung auf akzeptable Weise darzustellen.
Expert:innen, Dokumente und die Stimme des/r Konvertiten/in
Für die Performanz einer „echten“ Konversion reicht es allerdings für die Asylsuchenden nicht, ein entsprechendes Narrativ zu präsentieren. Vielmehr bedarf es für die Etablierung einer juristisch akzeptablen und hörbaren „Stimme“ der konvertierten Person eines Ensembles an Akteur:innen und Dokumenten, welches die „Authenzität“ derselben bezeugt und somit auch erst produziert. Eine besondere Rolle bei der Entscheidungsfindung kommt hierbei Angehörigen von religiösen oder atheistischen Gemeinschaften als Expert:innen zu. Dieser Status beinhaltet einerseits die Auskunft über religiöse Inhalte, andererseits wird z.B. erwartet, dass Pfarrer:innen durch ihr „Gespür“ und ihre Bekanntschaft mit den Asylsuchenden Zeug:innenschaft über die Konversion ablegen können. Diese Angehörigen von (a-)religiösen Gemeinschaften sind es oftmals auch, die bei der Vorbereitung für juristische Verfahren behilflich sind, u.a. durch die Produktion von Dokumenten wie Taufzertifikaten oder Gutachten bzw. „Empfehlungsschreiben“. Der Einsatz von Dokumenten ist ein Mittel, um den Anforderungen der Gerichte an eine glaubwürdige Konversionserzählung gerecht zu werden. Um wirksam zu sein, wird also das religiöse, verinnerlichte „Rauschen“ der Konversion in eine für die juristisch-säkulare Logik annehmbare Form gebracht.
Misstrauen, Gerüchte und „Scheinkonversionen“
Während in anderen Kontexten wenig Anlass dafür besteht, die Authentizität einer Konversion in Frage zu stellen, herrscht bei Asylverfahren ein Klima des Misstrauens vor. Programmatisch hierfür steht der Begriff der „Scheinkonversion“. Damit wird der Vorwurf zum Ausdruck gebracht, die asylwerbende Person habe bei ihrem Abfall vom Glauben nicht (rein) aus Überzeugung, sondern aus „asyltaktischen Gründen“ gehandelt. Diese misstrauische Grundeinstellung gegenüber den Asylsuchenden beschränkt sich hierbei nicht auf die zuständigen Behörden, sondern manifestiert sich auch innerhalb der jeweiligen Religionsgemeinschaften. Bereits 2014/2015 veröffentlichten sowohl die österreichische Bischofskonferenz als auch die Generalsynode der Evangelischen Kirche „Richtlinien“ und „Handreichungen“ für den Umgang mit konvertierten Asylsuchenden. Begründet wurden diese Schritte einerseits mit der Sorge um die Glaubwürdigkeit der Kirchen im juristischen Kontext. Andererseits praktizierten die Staatskirchen damit auch eine Abgrenzung zu jenen Freikirchen, die sich Gerüchten um „Fließbandtaufen“ ausgesetzt sehen. Auf diese Weise erstreckt sich der Verdacht der „taktischen“ Konversion, auch auf inter- und intra-kongregationale Beziehungen.
Angesichts dieser Entwicklungen scheint es umso wichtiger, als kritische Beobachter:innen des gewalttätigen und rassistischen Asyl- und Einwanderungskontrollapparats, nicht dessen misstrauische Rhetorik hinsichtlich der Frage, ob eine Person "wirklich" Christ:in oder Atheist:in geworden ist, aufzugreifen. Stattdessen gilt es, die Narrative, Strategien, Dokumente, kurz: die jeweiligen Wahrheitsregime in ihrer Gesamtheit zu analysieren und so die Konstitution von rechtswirksamen Subjektpositionen zu beleuchten.
Dieser Artikel fasst einige zentrale Ergebnisse zusammen aus der am Institut für Kultur- und Sozialanthropologie der Universität Wien verfassten Masterarbeit „Who Creates What? The Apparatus of Conversion“ (2021), sowie dem Beitrag von M.E. Ramsauer und A. Çağlar „Making the Convert Speak: The Production of Truth and the 'Apparatus of Conversion' in Austria”, in: Lena Rose and Ebru Öztürk (Hrsg.), Asylum and Conversion from Islam to Christianity in Europe: Interdisciplinary Approaches. London: Bloomsbury (erscheint in Kürze).
Markus Elias Ramsauer ist Doktorand und Mitarbeiter des internationalen, interdisziplinären Projekts „How is Artificial Intelligence Changing Science?“ an der Universität Wien. 2021 war er Non-Resident Fellow am IWM.
Ayşe Çağlar ist Professorin für Kultur- und Sozialanthropologie an der Universität Wien und Permanent Fellow am IWM.