Der gute Geist in der Maschine

IWMPost Article

Kürzlich hat sich das Institut für die Wissenschaften vom Menschen von David Souček verabschiedet, seinem langgedienten Mitarbeiter, der nun in den Ruhestand geht. Der IWM Newsletter Nr. 41 verzeichnet, dass er am 1. Juli 1993 seine Stelle als EDV-Leiter angetreten habe, und meldet stolz, das IWM sei soeben mit einem Netzwerk ausgestattet worden und nun über die E-Mail-Adresse Y3131DAA@AWIUNI11.EDVZ.UNIVIE.AC.AT erreichbar. 

Doch Davids Zusammenarbeit mit dem Institut reicht weiter zurück. 1986 suchten wir Unterstützung für den Aufbau des Patočka-Archivs am IWM. Ich hatte von einem Tschechen namens David Souček gehört, der den Nachlass des vom Prager Regime geächteten Philosophen und Dichters Ladislav Klíma (1878 - 1928) nach Wien gebracht hatte und an dessen Katalogisierung arbeitete. David, Sohn des Schriftstellers Ludvík Souček, kam aus dem Prager Underground, aus der Szene um die legendären Plastic People of the Universe, war im Samisdat aktiv gewesen und Unterzeichner der Charta 77. Als ich ihn zum ersten Mal besuchte, lebte er noch in einer kleinen, von der Regierung Kreisky zur Verfügung gestellten Wohnung am Rande von Wien, die nicht nur Klímas Schriften beherbergte, sondern vollgestopft war mit exquisiter Literatur und Kunst der tschechischen Moderne.
 
Ich konnte David dafür gewinnen, am IWM die aus Prag eingeschmuggelten Schriften Jan Patočkas zu ordnen und in eine Datenbank einzugeben (auf einem Computer namens Rainbow 100), auf deren Grundlage er später zusammen mit dem Patočka-Schüler Jiří Němec – ebenfalls ein Wiener Exilant – die erste umfassende Bibliographie des Prager Philosophen erstellte (erschienen 1997 tschechisch und 1999 deutsch, in Zusammenarbeit mit dem Prager Patočka-Archiv). 

Hereinspaziert: der Eingang zum IWM und zu dessen erster Website (1998)

David kam viele Jahre lang immer am Freitagnachmittag ins Institut. 1991/92 unterstützte er auch Peter Demetz, Visiting Fellow am IWM, bei der Herausgabe von T. G. Masaryks Polemiken und Essays zur russischen und europäischen Literatur- und Geistesgeschichte (erschienen 1995); im Nachwort bedankte Demetz sich bei dem „Institutsmagier der Computerapparatur“. Und nebenher gab David zwei Bände mit gesammelten Schriften Klímas heraus: Victoria Aeterna (tschechisch) und, zusammen mit Peter Sacher, Postmortalien (deutsch) – einer der ersten Titel im Übersetzungsprogramm des IWM. 
1993 gelang es uns, David von seinem damaligen Brotjob loszueisen und für die neue Funktion eines EDV-Administrator zu engagieren, zusätzlich zur Betreuung des Patočka-Archivs. Dieser Schritt war nicht unkontrovers, tat David doch alles, um uns zu überzeugen, dass er für eine solche Aufgabe ungeeignet sei. Wir ließen es drauf ankommen, und schon bald erwies sich die Entscheidung als Glücksgriff. Neue Technologien wie Textverarbeitung, Netzwerke oder E-Mail entwickelten sich in jener Zeit rasant und wurden auch für unser kleines Institut erschwinglich; das World Wide Web wurde geboren und eröffnete eine neue Dimension für Wissen und Kommunikation. David arbeitete sich mit der ihm eigenen Begeisterungsfähigkeit rasch in die neue Materie ein und sorgte fortan – bis zum gegenwärtigen Jahr – dafür, dass das IWM technologisch up to date blieb und rund lief. 

Wichtiger noch war, wie er die tagtäglichen technischen Probleme löste, mit denen der Staff und die Visiting Fellows zu ihm kamen, nämlich mit unendlicher Geduld, tschechischem Witz und, wo die Handbücher versagten, einem unerschöpflichen Einfallsreichtum. 1998 baute – und betreute – David die erste Website des Instituts, und bis 2013 drei weitere, um mit der Technologie des Mediums und dem Wachstum des IWM Schritt zu halten. 

In den letzten Jahren wandte sich David zunehmend der Geschichte des 1982 gegründeten Instituts zu. Im Laufe von mehr als drei Jahrzehnten hatte sich eine immense Menge von Photographien und Tonaufzeichnungen angesammelt, welche die Aktivitäten des Instituts dokumentieren. David katalogisierte sie in Datenbanken, ebenso erstellte er ein Archiv der seit 1986 erschienenen IWM Newsletter (ab 2005 IWMpost). Diese Bestände bilden einen wichtigen Teil des im Aufbau befindlichen Archivs des Instituts. 

Das IWM ist ein Ort, an dem die verschiedensten Überzeugungen aufeinandertreffen, manchmal auch heftig. Mit seinen hielt sich David immer zurück. Ich glaube, seine mitteleuropäische Lebenserfahrung hat ihn zu einem Konservativen im besten Sinne gemacht – was sich seit ein paar Jahren auch in seinem Äußeren manifestiert: Mit dem sorgfältig gepflegten Backenbart gleicht er zunehmend Kaiser Franz Joseph. Doch man lasse sich nicht täuschen – dahinter verbirgt sich auch ein sanfter Anarchist und ein jung gebliebener Geist mit unbändiger Neugier und Spielfreude. 

Nur schwer kann ich mir das IWM ohne David Souček vorstellen. Auch im Namen der Kolleg:innen möchte ich mich bei ihm für seine Treue und die vielen Jahre guter Zusammenarbeit bedanken. 


Klaus Nellen ist Mitbegründer und ehemaliger Permanent Fellow des IWM.