Staatenlosigkeit als permanenter Zustand?

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Das internationale Recht hat sich im Umgang mit dem Problem der Staatenlosigkeit als unwirksam erwiesen. Eine Abkehr vom rechtsdogmati- schen Verständnis der Staatenlosigkeit ist für die angemessene Begegnung des Problems erforderlich.

Staatenlosigkeit ist eine quasi-juristische Kategorie, deren aktuellen Formen sich des traditionellen Binarismus BürgerStaatenloser entziehen. Ursprünglich von Hannah Arendt in ihrer Kritik der souveränen Staatsmacht formuliert, hat sich dieser spezifische Zustand der „Rechtlosigkeit“ in der internationalen Ordnung nach dem Zweiten Weltkrieg allmählich normalisiert. Rechtlosigkeit ist im gegenwärtigen zwischenstaatlichen System tief verankert. Millionen von Staatenlosen werden weiterhin von der öffentlichen Sphäre ausgegrenzt, indem ihnen die Möglichkeit für effektives politisches Handeln verwehrt wird.

Staatenlosigkeit entsteht in der Regel durch ungerechte Gesetze, territoriale Verschiebungen zwischen Staaten, neue Grenzregime, Bürgerkriege, mangelhafte oder diskriminierende Verwaltungspraktiken, fehlende Geburtenregistrierung oder den völligen Entzug der Staatsbürgerschaftsrechte. Staatenlosigkeit schränkt nicht nur den Genuss von Rechten ein, die im Zusammenhang mit der Staatsbürgerschaft als selbstverständlich gelten, sondern verschärft auch strukturelle Gewalt und Armut, führt zu soziopolitischen Spannungen, spaltet Gemeinschaften, verursacht Traumata über mehrere Generationen hinweg und schürt langfristige regionale Konflikte.

Warum hat das Völkerrecht in der Frage der Staatenlosigkeit versagt?

Zu den wichtigsten Folgen systemischer Gewalt und staatlicher Kriminalität gehört die Vertreibung von Millionen von Menschen, die dadurch staatenlos werden. Nach den Grundsätzen des internationalen und innerstaatlichen Rechts sind diejenigen, die de facto oder de jure staatenlos geworden sind, durch eine umfassende Reihe von Menschenrechtsbestimmungen zu schützen. Die in internationalen Abkommen, Konventionen und nationalen Verfassungen vorgesehenen Rechte stehen jedoch häufig im Widerspruch zu den Rechten, die die Staaten tatsächlich durchsetzen wollen bzw. können. „Jeder Mensch hat das Recht auf eine Staatsangehörigkeit. Niemandem darf seine Staatsangehörigkeit willkürlich entzogen noch das Recht versagt werden, seine Staatsangehörigkeit zu wechseln.“ So lautet der Text von Artikel 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948. Sowohl das Recht auf eine Staatsangehörigkeit als auch der Besitz einer „effektiven Staatsangehörigkeit“ als Grundlage für die Ausübung der verfassungsmäßigen Rechte gehen auf das 1930 in Den Haag verabschiedete Übereinkommen über bestimmte Fragen im Zusammenhang mit dem Konflikt der Staatsangehörigkeitsgesetze des Völkerbundes zurück. Sie wurden 1961 durch das Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit der UNO und 1997 durch das Europäische Übereinkommen über die Staatsangehörigkeit weiter präzisiert. Die in diesen Übereinkommen enthaltenen Grundsätze wurden durch eine Reihe weiterer Verträge und die internationale Rechtsprechung in Bezug auf den Erwerb, den Verlust oder die Verweigerung der Staatsangehörigkeit bekräftigt. Und doch sieht das Völkerrecht vor, dass jeder Staat kraft nationalen Rechts zu bestimmen hat, wer seine Bürger sind. Daraus ergibt sich das grundlegende Rätsel der Staatenlosigkeit.

Im rechtsdogmatischen Sinne bietet zwar das Völkerrecht einen Handlungsrahmen für den Umgang mit Staatenlosen, aber die vorgesehenen Lösungen hängen von der Auslegung des Rechtsrahmens durch die Staaten ab, die staatenlose Bevölkerungen erzeugen oder aufnehmen. Die derzeitige Behandlung der Staatenlosigkeit offenbart somit eine große Schwäche des internationalen Flüchtlingsrechts und des humanitären Völkerrechts.

Artikel 1 Absatz 1 des UN-Übereinkommens über die Rechtsstellung der Staatenlosen von 1954 definiert einen Staatenlosen als „eine Person, die kein Staat auf Grund seines Rechtes als Staatsangehörigen ansieht“. Das Übereinkommen von 1954 sieht Mindestgarantien in Sachen Bildung, Gesundheitsversorgung, Beschäftigung und Identität sowie Reisedokumente vor. Es verpflichtet die Staaten zwar nicht, Staatenlosen in ihrem Hoheitsgebiet die Staatsangehörigkeit zu verleihen, aber es fordert sie auf, die Einbürgerung zu erleichtern. Das UN-Übereinkommen zur Verminderung der Staatenlosigkeit von 1961 enthält weitere Garantien, die in die Staatsangehörigkeitsgesetze aufgenommen werden können, um Staatenlosigkeit zu verhindern, wie bezüglich des Erwerbs einer Staatsangehörigkeit bei Geburt oder des Verlusts der Staatsangehörigkeit durch Eheschließung oder infolge eines längeren Aufenthalts im Ausland. Darüber hinaus spielen die internationalen Menschenrechtsbestimmungen, zumindest im Prinzip, eine ergänzende Rolle bei der Bekämpfung der Staatenlosigkeit, da ihre Garantien für alle Personen gelten und nur sehr wenige Bestimmungen auf die Inhaber der nationalen Staatsangehörigkeit beschränkt sind. Dazu gehören die Pflicht zur Geburtenregistrierung, das Verbot der willkürlichen Entziehung der Staatsangehörigkeit, Garantien für die Gleichbehandlung von Frauen in Bezug auf das Staatsangehörigkeitsrecht und der Schutz vor willkürlicher Inhaftierung. Und dennoch entstehen immer wieder neue Formen der Staatenlosigkeit. Ein neuer Ansatz zur Bewältigung dieses komplexen Problems ist dringend nötig. Staatenlosigkeit ist kein Problem, das durch die Anwendung des Völkerrechts durch die Staaten, in denen das Problem auftritt, zu lösen ist. Sie ist integraler Bestandteil globaler Trends von erzwungener Migration, Vertreibung und massenhafter Enteignung.

Ein neuer Ansatz

Die Erfahrungen der Staatenlosigkeit, die zunehmend in Europa und Nordamerika, aber vor allem im globalen Süden zu beobachten sind, stellen im Kontext von Massenvertreibungen und Migrationsströmen grundlegende Vorstellungen über die Institution der Staatsbürgerschaft in Frage. Durch die Festlegung strikter Kategorien, wann und für wen Staatsbürgerschaftsgesetze gelten sollen, entwerfen oder diktieren internationale Rechtsinstitutionen Modelle, die auf der Grundlage vorbestimmter Ergebnisse funktionieren.

Eine entschiedene Abkehr von rechtsdogmatischen Definitionen und Lösungen für Staatenlosigkeit würde eine Vielzahl von Vorteilen mit sich bringen. Die Analyse von politischen Maßnahmen und gesetzlichen Kodifizierungen von Staatenlosigkeit im Globalen Süden, die regionalen Konzepten und Erfahrungen in der Behandlung von Massenvertreibungen Rechnung tragen, könnte ein Gegenmittel zur Unzulänglichkeit der derzeitigen Behandlung von Staatenlosigkeit im internationalen Recht bieten. In jedem regionalen Kontext nimmt die Konstruktion und Re-Konstruktion von Staatenlosigkeit (und damit ihre scheinbar permanente Natur) unterschiedliche Formen an und bezieht unterschiedliche institutionelle Akteure, Rechtsmechanismen, Praktiken und Politiken mit ein. Dies zwingt uns, Staatenlosigkeit jenseits der standardisierten Definition eines statischen Rechtszustands neu zu erfassen. Die sich daraus ergebende Konzeptualisierung von Staatenlosigkeit wird ein wirksames Repertoire an politischen Maßnahmen und rechtlichen Regelungen für die Anpassung des globalen Phänomens der Staatenlosigkeit an das Vokabular der Rechte bieten. Kurz: Regionale Ansätze zur Lösung des Problems der Staatenlosigkeit sollten den Kern der Neubewertung der Staatenlosigkeit als dauerhaftem Problem der aktuellen internationalen Ordnung bilden. Dazu ist es wichtig, Schlüsselakteure, gesellschaftliche Gruppen und Institutionen, wie Rechtsgelehrte, Anwälte und Rechtsaktivisten in die Erarbeitung möglicher Lösungen einzubeziehen.

Als Fremde in der „Heimat“, weil die Staatsbürgerschaftspolitik ihnen keine „Heimat“ zugesteht, und als Unsichtbare im „Ausland“ problematisieren die Staatenlosen die Begriffe „Heimat“ und „Ausland“. Sie existieren als prekäres Leben und prekäre Arbeit. Die Figur der staatenlosen Person zeigt die Grenzen der Staatsbürgerschaft als politischrechtliches Regime auf. Akademische Arbeiten über Staatenlosigkeit sollten in erster Linie die gelebte Realität von Staatenlosigkeit aufzeigen und deutlich machen, wie wichtig sie für die Aufrechterhaltung von Volkswirtschaften und Gesellschaften geworden ist, obwohl sie rechtlich unsichtbar ist.


Nergis Canefe ist Associate Professor an der York University, Kanada.