Transit – Europäische Revue 1990 – 2017: Eine kurze Geschichte

Transit

Nicht lange nach der Gründung des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen (IWM) im Jahr 1982 begannen wir von einer eigenen Zeitschrift zu träumen, die ihre Leserinnen und Leser daran erinnern würde, dass die in Jalta beschlossene Teilung des Kontinents künstlich war und der „Osten“ nie aufgehört hatte, ein Teil Europas zu sein. Der Gründungsidee des Instituts folgend wollten wir dazu beitragen, Stimmen von jenseits des Eisernen Vorhangs vernehmbar zu machen, vor langer Zeit unterbrochene intellektuelle Verbindungen wiederzubeleben und neue Diskussionen zu initiieren, für die es noch kein Forum gab.

Timeline 1990 - 2000

Timeline 2001 – 2010

Timeline 2011 - 2017

Nach zahlreichen Gesprächen mit Freunden aus Ost und West konkretisierte sich das Projekt im September 1987 unter dem Arbeitstitel Polis. Es sollte dann noch eine Weile dauern, bis sich ein Förderer und ein Verlag gefunden hatten. 1988 gab das Central and East European Publishing Project grünes Licht für die Anschubfinanzierung der Zeitschrift, und im November 1989 erklärte sich Dorothea Rein von der Neuen Kritik bereit, sie zu verlegen. Und nicht zuletzt erhielt die Zeitschrift nun ihren programmatischen Namen: Transit – Europäische Revue. Die Vorbereitungen für die erste Nummer hatten schon Anfang 1989 begonnen, doch sie wurden vom unverhofften Ende des Eisernen Vorhangs überholt. Gleichzeitig eröffnete sich damit die Chance, unmittelbar auf den Zusammenbruch der alten Weltordnung und das Ende der Teilung Europas zu reagieren. Im Sommer 1990 organisierte das IWM unter dem Titel „Central Europe on the Way to Democracy“ eine große Konferenz. Sie brachte die über Nacht aus der mittel- und osteuropäischen Dissidenz hervorgegangene neue Elite mit westlichen Politikern, Gelehrten und Intellektuellen zusammen, um über Strategien des Übergangs zu Demokratie und Marktwirtschaft zu diskutieren. Das erste Heft von Transit präsentierte dann im November 1990 Ausschnitte aus dieser Konferenz und einschlägige Essays von u.a. Timothy Garton Ash, Ralf Dahrendorf, François Furet, Andrew Arato, Jacques Rupnik, Zoran Djindjic, Adam Michnik und György Dalos.

Fortan setzte sich Transit mit den neuen Herausforderungen für den alten Kontinent auseinander:  Das Ende des Kalten Krieges und der bipolaren Weltordnung, die Wege und Umwege der neuen Demokratien, die beschleunigte Globalisierung und die Erweiterung der Europäischen Union sollten Europa tiefgreifend verändern. Zugleich hatte die lange Teilung Europas Unterschiede in den Erfahrungen, Sehweisen und Werten hervorgebracht, die mit der Wiedervereinigung nicht verschwanden. Diesen Differenzen Rechnung tragend hat sich die Europäische Revue als Medium für die Selbstverständigung der Europäer über ihre gemeinsame Geschichte und Zukunft verstanden.

Die Zeitschrift war untrennbar mit der Arbeit des Instituts verbunden, an dem sie herausgegeben wurde. Nicht wenige der dort im Laufe der Jahre von den Fellows verfolgten Forschungsprojekte sollten einen Paradigmenwechsel in ihrem Feld einleiten. All dies lässt sich in Transit (und seiner digitalen Schwester Transit_online) nachverfolgen. Neben den Transformationsprozessen Europas gehörten zu den Themen, die von den Autorinnen und Autoren verschiedenster Herkunft und Überzeugung (und oft der Zeit voraus) erörtert wurden: Ungleichheit und Solidarität, der Ort der Religion in der säkularisierten Gesellschaft, die Neuschreibung der Geschichte des Zweiten Weltkriegs und Nachkriegseuropas, Kunst und Politik, die Zukunft der Demokratie in Zeiten des zunehmenden Illiberalismus.

2017 verabschiedete sich Transit mit dem 50. Heft von seinen Leserinnen und Lesern. Unter dem Titel „Ein Zeitalter wird besichtigt“ lud die Europäische Revue ihre langjährigen Beitragenden zu einem Rückblick auf eine Epoche ein, in der die Welt ihr Gesicht verändert hat. Inzwischen schien sich ein neuerlicher Wandel abzuzeichnen. Wohin er steuert, ist bis heute offen. Was aber bleibt, sind die Neugier und Denkanstrengung, mit denen am IWM die politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen unserer Zeit verfolgt werden.

Mai 2022
Klaus Nellen