Das Böse nach dem Tod. Das öffentliche Ableben eines politischen Abjekts. Nicolae Ceausescus posthumes Leben im (heißkalten) rumänischen Leichenkeller

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Die Moral der politischen Gewalt ist so alt wie die politische Macht und die europäische Demokratie. Der politische Mord – und darum geht es hier – ist also kein Spezifikum Südosteuropas oder des Balkans, das „bequeme Vorurteile“ (Maria Todorova) erlaubt: Revolution, Gewalt und Mord sind vielmehr Teile des gemeinsamen europäischen politischen Erbes.

Like any story that enters popular narrative, this is one with a moral (…). The moral can be stated (…) in terms of fear: People who are empowered to hurt other people are also likely to hurt you. 

Gordy 2004:11

Die Moral des Bösen

Die Moral der politischen Gewalt ist so alt wie die politische Macht und die europäische Demokratie. Der politische Mord – und darum geht es hier – ist also kein Spezifikum Südosteuropas oder des Balkans, das „bequeme Vorurteile“ (Maria Todorova) erlaubt: Revolution, Gewalt und Mord sind vielmehr Teile des gemeinsamen europäischen politischen Erbes.

Das was im (christlichen) europäischen Kontext als „Urmuster des Bösen“ interpretiert werden kann – eine Spirale mimetischer Gewalt, die nicht einmal das christliche Uropfer Jesus zu brechen vermochte – zieht das Publikum in seinen Bann und das Kollektiv in die Tat hinein: „Jede Katharsis (wörtlich: Reinigung) verlangt nach Wiederholung. In der Raserei gegen das Opfer werden alle vom Flächenbrand der Gewalt erfasst. Gewalt entdifferenziert, macht gleich, vernichtet Unterschiede, Individualität und individuelles Sein.“ (Scobel 2005: 41)

In der antiken Welt – etwa im Nahen Osten und im Mittelmeerraum – haben die Menschen die ersten bekannten Versuche unternommen, sich politische Organisationsformen zu geben. Daher war sie auch Schauplatz von politischen Morden, die mit zunehmender Sorgfalt aufgezeichnet wurden, und sich in evokativen Begriffen wie „Tyrannenmord“, Verbannung“, „Zelot“ (militärische jüdische Widerstandsbewegung gegen die römische Besatzung) und nicht zuletzt dem aus dem Arabischen stammenden Begriff „Attentat“ manifestiert haben (Franklin L. Ford 1990: 25).

Revolution als Optik

Der Tod eines emblematischen politischen Führers markiert das Ende eines Kapitels in der nationalen Erinnerung und dient als Historisierungsschwelle für die betroffene Gesellschaft. Die retroaktive Interpretation des Verstorbenen, von dessen Tod sowie vom Kontext des Todesfalls hat damit begonnen. Ist der Tod gewaltsam, wird diese Wende umso dramatischer (mit-)erlebt – wie etwa im Fall des öffentlichen Ablebens des rumänischen Diktators Nicolae Ceausescu während der Revolution in Rumänien im Dezember 1989.

Der gewaltsame Tod löst eine negative Sinnbildung aus (Rüsen 2001). Fords (1990: 20) Beobachtung, dass die aktuelle Perspektive immer neu eingestellt werden soll, um mit der Realität vergleichen zu können, ist auch wichtig für das Verständnis des Umgangs mit dem abgelebten Bösen: Die eigene, gegenwärtige Optik scheint immer optimal; die (alte) Verbindung zwischen Ethik und Gewalt wird immer wieder neu interpretiert. Akt und Optik interagieren – besonders wenn der Akt eine neue politische Optik einführt. Dies ist wohl am häufigsten der Fall beim Tyrannenmord, wo die Akteure (=konkurrierende Eliten) durch das Töten die Macht ergreifen, und neue politische, retroaktive Perspektiven implementieren.

Diese Diktatur der Perspektive beobachtet Dejan Jovi? (2004: 102) auch in Ex-Jugoslawien, und zum Teil in Albanien, wo die politische Wende Hand in Hand mit dem Versuch ging, Schubladen mit „offiziellen Erinnerungen“ und „offizieller Amnesie“ umzubenennen, bzw. die Etiketten neu zu verteilen. Was in der Öffentlichkeit „vergessen“ war, an das wurde jetzt wieder „erinnert“. Und wer Bösewicht in den offiziellen Erinnerungen der kommunistischen Ära war, wurde jetzt Held in der offiziellen Erinnerung des anti-kommunistischen Postkommunismus.

Die legitimierende, identitätsbildende Darstellung der Revolution ist zur Mythologisierung verpflichtet, weil in der gewaltsamen Revolution „immer noch das honoriert (wird), was die Gesellschaft in Friedenszeiten mit schwersten Strafen ahndet: Verschwendung der materiellen Ressourcen, Unberechenbarkeit, Betrug und Mord“ (Harth 1992: 32). Dem Bösen – das sich im Ausbeuter, Unterdrücker, Aggressor verkörpert – werden Aktionen entgegengesetzt, die in der Ausnahmesituation der Revolution bzw. des Krieges die „Übertretungsverbote des Alltags in vollem Bewusstsein verletzen müssen – eine negative, zynische Theodizee.“ (Harth 1992: 32).

Der Kontext der Revolution wird von Franklin L. Ford aus chronologischen Gründen nicht direkt in Bezug auf Ceausescu behandelt. Aber in Ceausescus Fall – was übrigens auch für den ermordeten serbischen Ministerpräsidenten Zoran Djindjic zutrifft – ist die Perspektive der Revolution zentral für das Gedenken der Toten, für das „Nachdenken“. In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe des Buches erwähnt Ford den politischen Mord als Merkmal der französischen Revolution, „insbesondere ihre Säuberungen durch Gerichtsverfahren und einige gut organisierte Lynchaktionen.“

Was post-kommunistische Gesellschaften wie Rumänien (oder etwa Serbien) mit anderen post-revolutionären Gesellschaften wie Frankreich verbindet, ist die entscheidende Bedeutung von Gewalt und Mord für das politische Geschehen. Denn der politische – sanktionierte oder nicht-sanktionierte – Mord ist von zentraler Bedeutung für die Staatsbildung. Daher ist das internationale Phänomen des politischen Mordes für alle sogenannten „neue Demokratien“ (also nicht nur in Südosteuropa) relevant.

Die Vermischung von Mythos und Revolution, sowie die historische Neuorientierung zugunsten der neuen Elite nach der Revolution macht es schwierig, revolutionäre Ereignisse historisch zu kritisieren. Der Tod als Historisierungsschwelle leitet einen neue Zeitrechnung ein, in der „Jetztzeit“ mit „Echtzeit“ gleichgesetzt werden kann. Sowohl István Rév (1995) als auch Costica Bradatan (2005) bemerken diese Diskrepanz zwischen Jetztzeit und Vergangenheit in postsozialistischen Gesellschaften.

Das gleiche trifft aber auch auf den „Westen“ zu. Aleida Assmann (2005) beschreibt, wie die Individuen als Beobachter, Akteure oder Opfer immer schon in die übergeordnete Dynamik geschichtlicher Prozesse eingebunden sind. Das bedeutet, dass das individuelle Gedächtnis nicht nur in seiner zeitlichen Erstreckung, sondern auch in den Formen seiner Erfahrungsverarbeitung vom weiteren Horizont des Generationengedächtnisses bestimmt wird: “eine einmal geprägte Generationsidentität ist nicht mehr veränderbar.

Makrotrauma

Der Tod ist Auslöser jeder Gedächtnispraxis und die Toten sind der Inbegriff dessen, was erinnert werden muss und vergessen werden soll. Der plötzliche Tod, oder sogar der Mord, eines politischen Führers gehört zu den wichtigsten historischen „Echtzeit“-Erlebnissen, die ein Individuum und ein Kollektiv erfahren können.

Der politische Mord – also das politisch motivierte Töten (hier sind etwa die Kategorien Attentat, Tyrannenmord und Hinrichtung relevant), das im Zusammenhang mit dem staatlichen Gemeinwesen und seinen politischen Repräsentanten steht (Ford 1990: 19) – ist eine Grauzone, nicht nur zwischen Leben und Tod, sondern auch zwischen Staat und Unterwelt, Recht und Unrecht, zwischen Himmel und Hölle. Die Hauptmotivationen sind lt. Feierabend & Feierabend:

  1. to replace one political elite with another without substantial change in the institutional framework of society
  2. to change the identity of the ruler, ruling body, or prevailing ideology
  3. to destroy the legitimacy of the ruling elite and terrorize its allies in order to gain total system or ideological transformation
  4. to suppress political challenge (usually carried out on orders of a well-organized mass movement or agency)
  5. to dramatize and publicize injustice, measurable or perceived, and to propagandize an alternative ideological perspective.

Die Liste von Feierabend & Feierabend wurde ursprünglich für Attentate ausgearbeitet. Obwohl meistens von einer Hinrichtung Ceausescus die Rede ist, trifft die Liste aber auch für seinen Fall zu: Eine politische Elite wurde durch eine andere (die Elite der zweiten Reihe) ersetzt – ohne, wie sich nachher herausstellen sollte, entsprechende substantielle Veränderungen des Systems bzw. der gesellschaftlichen Ordnung. Gerade der Akt des Tötens dramatisierte rückwirkend auch die Ära, die Ceausescu verkörperte. Gleichzeitig ermöglichte die Hinrichtung der neuen Elite eine Des-Identifikation mit dem rumänischen Kommunismus – und verlieh ihr somit eine neue politische Identität und Legitimität.

Der Schock, der durch die öffentliche – zeitversetzte – Hinrichtung transportiert wurde, war gleichzeitig eine Warnung an die (Millionen) Rumänen, die mit dem Regime kooperiert hatten; ein indirekter Befehl, die Vergangenheit zu löschen. Das Töten des ungeliebten Herrschers duldet als Signal keinen Widerspruch: Wer die Kraft hat, den mächtigen Herrscher zu töten, hat definitiv die Macht inne. Die Moral des Tötens ist, wie Eric Gordy beobachtet, die Moral der Angst: Menschen, die den ehemaligen Machthaber nicht nur entmachten, sondern auch töten, können auch dich töten.

In dieser Spirale mimetischer Gewalt werden Minus und Minus zu plus: Das Töten ist ein Signal dafür, dass man (der Mörder/Auftraggeber) das durch den Toten repräsentierte System und seine ganze soziopolitische Struktur ablehnt. Der Akt des Tötens ist die ultimative, aktive De-Legitimierung, Aberkennung eines Systems, um das eigene System zu legitimieren. Die „neuen Bösen“ sind also gut, weil sie dem Bösen böses antun (können).

Ceausescu wird zum Idiom der bösen Manipulation: Wenn jeder weiß, dass Geschichte manipuliert werden kann, wie können die Autoritäten dann einen „Wahrheitseffekt“ produzieren? fragt Katherine Verdery (1999: 113). Leichen können als Produzenten eines Wahrheitseffekts fungieren, antwortet Verdery selbst, indem sie auf die häufigen Neubestattungen in den postsozialistischen Staaten bezug nimmt. Der Akt des Tötens an sich kann aber einen noch kräftigeren Wahrheitseffekt haben: Nicht nur der (Pseudo-)Prozess und die darauf folgende Hinrichtung (die keine demokratische Legitimation hatten) waren Signale für einen Bruch mit der Vergangenheit: Vor allem die Veröffentlichung des Todes war eine Legitimation der Wende, nach dem Motto: Wir (im Unterschied zu Ceausescu) zeigen offen, was passiert – in (fast) Echtzeit.

Affekt

Bevor wir uns näher an das „Un-Thema“ Ceausescu als Leiche heranwagen, lohnt es sich zunächst einen Schritt zurück zu treten, um eine allgemeine Perspektive auf das Besondere zu erhalten: Wie reagiert eine Gesellschaft auf den Mord eines Staatschefs? Während Doris Y. Wilkinson (1976: 2) von einem „tief durchdringenden und dauerhaften Einfluss auf die soziale Struktur“ überzeugt ist, vermutet Yaacov Y.I. Vertzberger (1997: 867) einen kurzfristigeren Affekt:

A sudden traumatic event, such as an assassination, penetrates defences that under normal circumstances would suffice to maintain confidence in one’s core beliefs and values, and calls into question their relevance and validity. The surprise effect of the event does not allow for the preparation of alternative defences, nor for careful reassessment of currently held values, beliefs, and attitudes or at least their rationalization and justification. The immediate consequence is, therefore, the unfreezing of key, long held, primed values, beliefs, and attitudes. Unable in such circumstances to mobilize and rely on their inner sources, people look for guidance from external sources of epistemic authority to which they had looked in the past as a source of reliable knowledge that would confirm their cognitions or suggest appropriate modifications to them (…). The most salient epistemic authorities, political role models and leaders, may fail to perform the leadership function that is expected of them, being stunned and bewildered themselves. Thus individuals in the affected community, overwhelmed by a sense of being at loss, bereft of normative anchors, and unsure as to how to regain their orientation and self-confidence, consequently feel a powerful need for a demonstrative, active response that will provide them with a sense of control and direction.

Die soziopolitische Situation in Rumänien zum Zeitpunkt der Revolution und der Exekution Ceausescus – die, wenngleich sie wohl kein Attentat war, dennoch einen ebenso traumatisierenden Effekt gehabt haben muss – weist wenige der von Vertzberger beschriebenen idealen Möglichkeiten zur akuten Bewältigung auf. Durch den Fall des eisernen Vorhangs sind der Kommunismus und mit ihm die ideologischen, politischen und ökonomischen Grundlagen der rumänischen Gesellschaft zu Grunde gegangen.

Die Revolution und die Exekution des Conducator hat diese Richtung bestätigt, aber im Unterschied zu Ländern wie Polen und der Tschechoslowakei, deren Dissidentenbewegungen stark und präsent waren, hat Rumänien keine alternativen politischen Führer gehabt. Es hat sehr wenig Kontakt zur Außenwelt, also externen Autoritäten oder Konstanten, gegeben.

Die neuen politischen Führer, angeführt von Ion Iliescu (der später Präsident werden sollte), haben keine alternativen Werte angeboten, sondern lediglich die Feindfigur Ceausescu durch einen medialisierten (Pseudo-)Prozess und die darauf folgende dramatische Hinrichtung beseitigt.

Franklin L. Ford (1990: 15) sieht im Fall Ceausescu den Beweis dafür, dass bestimmte Formen des politischen Mordes immer wiederkehren: „Die Umstände, unter denen die Ceausescus den Tod fanden, waren natürlich in mancher Beziehung durch den Zeitpunkt, den Ort und die Beteiligten geprägt. Aber die Eile, mit der sie von einem Erschießungskommando liquidiert wurden, sodass keine Zeit für eine Intervention von außen, für einen Aufschub – oder vielleicht für unangenehme Enthüllungen durch die Verurteilten – blieb, offenbart bei ihren Richtern eine vertraute Mischung aus politischem Kalkül und fester Entschlossenheit den Tyrannen umzubringen.

Die Medialisierung machte die Bevölkerung nicht nur zu Zeugen, sondern auch zu Mitschuldigen, die in der überhitzten Stimmung der Revolution Freude am Tod des tyrannischen Staatschefs ausdrückten – und diese Freude zum Teil noch immer zelebrieren. Durch die Medien wurde die rumänische Revolution im Westen – der zur selben Zeit den 200. Jahrestag der französischen Revolution feierte – zu einer „geteilten Erfahrung“ (Siani-Davies 2005: 279). In den ausl ändischen Medien fanden die neuen identitätsbildenden Mythen zumindest teilweise Bestätigung.

Das europäische Abjekt

Mythen sind wie Spielmarken in einem Erinnerungsspiel. Sie können – hat man sie erst einmal aus ihrer Bindung ans Heilige gelöst – mit veränderten Wertzuschreibungen verbunden und in verschiedenen Kontexten eingesetzt werden, ohne dass sie ihr zeit-übergreifendes Gepräge je ganz verlieren. (Harth 1992: 14)

In den „Narrationen der Revolution“ in Rumänien, die Siani-Davies’ (2005: 275 ff.) schildert, wird der Mix aus Selbst- und Fremdbild in den interagierenden internen und externen Erzählungen, sowie in den unterschiedlichen Verschwörungstheorien deutlich hervorgehoben. Die übertriebenen Todeszahlen, die extremen und zum Teil gefälschten Bilder, die in den westlichen Medien schnell übernommen wurden, weil sie die westlichen Erwartungen von einem grausamen und von Mythen umwobenen Land erfüllten, trugen zur Mythologisierung nicht nur der Revolution, sondern auch von deren Abjekt, das „abgestoßene Eigene“ (Kristeva 1982) – Nicolae Ceausescu – bei.

Diese Stilisierung des Bösen manifestiert sich u.a. am Beispiel des Photos einer toten Frau mit einem auf ihrem Körper liegenden toten Baby, das in den ausländischen Medien verbreitet wurde:

„One of the most famous photographs of the revolution appeared to testify (… that the Ceausescu regime was capable of such brutality), as it showed a dead baby lying on the corpse of its supposed mother amidst other bodies in a Timisoara graveyard. At first, it was claimed that all the corpses were victims of the massacre of December 17, but after the revolution it was revealed that the women had in fact perished from alcohol poisoning on November 8, 1989, while the child, a young girl, had died on December 9. The bodies had been excavated during the first frenzied search for those who were missing after the massacre of December 17 and, presumably because it made a striking picture, the baby had been placed on the woman and the image filmed by Novi Sad Television and MTV of Hungary. Despite the fact that the corpse of the woman was badly decomposed and had obviously been in the ground for several weeks, the image was accepted and widely reproduced, presumably because such horrors were only to be expected from Romania.” Siani-Davies (2005: 281f.)

Schnell wurden Analogien zwischen dem im Westen bekanntesten rumänischen Mythos, Dracula – der vampirisierten Version der rumänischen historischen Figur Vlad Tepes (mehr dazu später) – und dem gestürzten rumänischen Präsidenten Ceausescu hergestellt.

Die ausländischen Journalisten, die während der Revolution eiligst ins Land gereist waren, verfügten erstens nur über wenig Wissen über Rumänien, zweitens standen sie unter dem Druck, möglichst sensationelle Geschichten zu produzieren – und in einer Atmosphäre des unkritischen Konsenses hinterfragten die wenigsten diese offensichtlichen Sensationen.

In einem Leitartikel in The Times vom 19. Dezember 1989 wurde Ceausescu sogar mit dem römischen Kaiser Caligula verglichen, weil er nach dessen Diktum „mögen sie hassen, so lange sie nur fürchten“ regiere. Siani-Davies (2005: 282f.) erwähnt weitere Beispiele der westlichen Mythologisierung:

„It is a little ironic that a revolution which sought to reassert rationality in Romania created an apparent collective loss of the same faculty in the outside world. In a triumphal blending of myths, Ceausescu, who had often equated himself with Vlad Tepes, the fifteen-century prince of Wallachia on whom the Dracula legend is said to be based, was transmogrified into Bram Stoker’s famous character. (…) The Guardian correspondent Michael Simmons wrote of Tepes having a personal security force, the sluji, which bore an uncanny resemblance to the Securitate while in Le Monde Claude Fischler coined the term “draculization” when he spoke of Ceausescu as a paranoic Dracula”, tyrant of the Balkans”, and “proletarian despot”.

Die primäre kulturelle Referenz waren Transsilvanien (Siebenbürgen) und die Dracula-Legende, die durch Bram Stokers Roman im Westen verbreitet ist – ein Buch, das im kommunistischen Rumänien kaum bekannt war.

Das Bild von außen wurde jedoch schnell in Rumänien übernommen. Siani-Davies (2005: 283) beschreibt eine Anti-Ceausescu Montage an der Seite eines Panzers in Timisoara, wo Ceausescu als Vampir abgebildet ist, und im Text als der „bekannteste Vampir“ beschrieben wird. Folgende Konversation mit einer Familie aus Timisoara untermalt das sich verbreitende Vampir-Image:

„I could see that Ceausescu had already become a creature of legend, a monster of the past, linked to other figures of dread in a history rich in them. Maria’s husband, Dincu, said that Ceausescu often needed blood transfusions. To this purpose he selected healthy young boys from villages, had blood taken from them, and then had them killed. … In Bucharest and in other cities the demonstrators shouted, “down with the vampire!”
“And you heard about the blood banks?” one of the children, a twelve-year-old boy, asked gravely. I had, but I let him tell it anyway.
“Ceausescu ordered his men to smash the blood banks during the fighting so that the wounded would not get emergency aid”, the boy said.
“They poisoned the water!” added Maria.
“He’s Dracula!” they said, almost at once.
They compared Vlad Dracula … and Ceausescu for a long time. “Dracula was better. He was a just man who helped the Peasant!” They agreed that Dracula was by far the better man. They crossed themselves.

Dass die öffentliche Wahrnehmung der Figur Nicolae Ceausescu gegenwärtig eine gewisse Normalisierung erfährt, stimmt mit dem allgemeinen rumänischen Verständnis von Vlad Tepes als nationalem Held überein: grausam, gewiss – aber eine wichtige historische Figur, die auch Gutes geleistet hat. Das Missverständnis im Westen ist doppelt: Die meisten werden den Unterschied zwischen Dracula und Vlad Tepes kaum kennen, und daher die Analoge zwischen Ceausescu und Dracula unhinterfragt übernehmen.

Laut Siani-Davies (2005: 283f.) beruht die gegenseitige Ergänzung interner und externer Mythen auf Ignoranz: In der allgemeinen Unwissenheit, die durch die gezielte Desinformationspolitik des Ceausescu-Regimes in eine „Tyrannei der Gerüchte“ ausgeartet war, blühten allerlei Tratschgeschichten in einem Ausmaß, in dem nichts mehr glaubhaft, und daher alles „plausibel“ war. Unter diesen Umständen waren Geschichten über Menschenfleisch, das in Restaurants aufgetischt wurde, “direkte Vorfahren” jener Zeitungsente, dass die Securitate in Bukarest Blutbanken in die Luft sprengte, um die Behandlung von Verletzten zu verhindern.

Durch die Schuldzuweisung und die Personifizierung der Gräuel während der Revolution wurden die “Terroristen” zu Randerscheinungen der Gesellschaft – und das war der Anfang jenes Reinigungsprozesses, mit dem die unheilvollen Reste der Vergangenheit beseitigt werden sollten. Siani-Davies (2005: 283f.) beschreibt die Kunst der Übertreibung – die teilweise als Ausrede für die eigene Passivität in der Vergangenheit fungierte: “Only through turning the old myth of the securitate as brutal supermen into a ‘reality’ could previous acquiescence be explained and condoned.”

Aber auch der neuen Führung kam die semiöffentliche Kommunikation durch die Gerüchteküche gelegen: Es kursierten jetzt neue Geschichten über das gefährliche Leben der neuen politischen Führer, die in Bukarest nur in Panzern unterwegs waren, auf der ständigen Flucht vor Attentätern: “It may be that by dwelling on the security danger while they consolidated their hold on power the new leaders sought to slough off their communist past and cement their newly found identification with the people”, vermutet Katherine Verdery (1999:51).

Retroaktive Rechtfertigungen findet man auch in den Geschichtsbüchern wieder, in denen das Neuschreiben der Geschichte dazu diente, neue politische Identitäten aufzubauen – zur Abwehr der unmittelbaren Vergangenheit. Diese Reaktion hatte nicht nur ihren Ursprung in der allgegenwärtigen Ablehnung des Kommunismus – sondern auch in dem Wunsch, das westliche Publikum von der Notwendigkeit und dem Sinn von Hilfsgeldern und Investitionen zu überzeugen. Die „negative Sinnbildung“ hat also auch einen praktischen, pragmatischen Hintergrund: “The revisionist histories that corpses and bones embodied were (…) central to dramatizing the end of Communist Party rule” (Verdery 1999: 51).

Es wird also eine Ausnahmesituation geschaffen, in der man Handlungen, die in einem anderen Rahmen als kriminell einzustufen wären, ausführen kann. In Kontexten wie Krieg und Völkermord werden die Gegner rhetorisch enthumanisiert. Damit wird eine moralische Enklave kreiert, in welcher der Gegner zu Freiwild wird, und das Töten kein kriminelles Delikt, sondern womöglich sogar erwünscht ist (siehe nur Voican-Voiculescus Aussage über die Exekution als „ Implementierung des gemeinsamen Wunsches des Volkes“).

Ceausescu als Abjekt wird in dem Sinn kein Opfer eines Mordes, sondern – weil Verkörperung des kommunistischen Regimes – ein Außenseiter, jemand der außerhalb des moralischen Systems steht. Durch seinen Tod, und durch den Ausnahmezustand, der den Tod ermöglicht, wird ein Strich unter die (von Ceausescu repräsentierte) Vergangenheit gezogen. Sein Tod, der eine endgültige, moralische Abgrenzung ihm gegenüber darstellt, ist gleichzeitig eine Legitimation für die Wende: Ceausescu war so böse, dass eine Exekution notwendig war.

Die Enthumanisierung von Ceausescu zeigt sich auch – wie wir schon gesehen haben – in den westlich inspirierten Analogien zwischen Ceausescu und Dracula: Ceausescu gehört in dieser Metaphorik bereits der Totenwelt, dem Jenseits an, und zwar so als ob er schon immer dem Jenseits angehört hätte; jetzt hat man ihn nur in der Realität auch dorthin befördert. Aber nur beinahe.

Gerüchte auf dem Friedhof von Ghencea

Das Grab Nicolae Ceausescus auf dem Ghencea Zivilfriedhof in Bukarest ist gut bewacht. Ein Angestellter des Friedhofs sitzt auf einer Bank in der Nähe und wartet auf Leute, die das Grab fotografieren wollen: „Das ist verboten“, sagt er der Ethnologin Ioana Popescu und mir, als ich die Kamera auspacke. Man brauche eine Genehmigung von der zentralen Friedhofsverwaltung in Bellu, um hier fotografieren zu dürfen. Ein paar Minuten und einige Lei – „für einen Kognak“ – später haben wir unsere ungeschriebene Sondergenehmigung; wir dürfen so viel fotografieren, wie wir wollen.

Nicolae Ceausescus Grab ist mit Wachs bedeckt, von den vielen Kerzen. Es brennt ein ewiges Licht neben dem Grab. Das bedeutet, schließt Ioana Popescu logisch, dass jemand die Friedhofsverwaltung dafür bezahlt, das Licht – nach orthodoxer Tradition braucht der Tote Licht und Wasser – brennen zu lassen. Ceausescus Grab hat drei Kreuze; ein eisernes Kreuz (das ursprüngliche); ein graues steinernes Kreuz mit einem roten Stern, das, wie der Friedhofswächter erläutert, von „normalen Menschen“ bzw. Nostalgikern errichtet wurde; sowie ein rotes Marmorkreuz, das von den Altkommunisten errichtet wurde und die Inschrift ”Eine Träne auf Deinem Grab vom rumänischen Volk trägt. Wann die Kreuze errichtet wurden, weiß niemand am Friedhof, und es gibt auch keine Dokumente bei der Friedhofsverwaltung in Bellu.

In der rumänischen Tradition ist es wichtig, dass der Abschied des Toten gelingt, erzählt Ioana Popescu. Denn sonst wird der Verstorbene nie seine Ruhe finden. Ceausescus Abschied war alles andere als gelungen: nur Gelu Voican-Voiculescu, Vizepremierminister nach der Revolution und für Hinrichtung und Begräbnis zuständig, sprach einige Worte am Grab. Das Grab wurde in der Nacht ausgehoben, erzählen die Wächter. Ein Kollege von ihnen – „der Vasile“ – habe das Grab vorbereitet. Ihm wurde eine Pistole an die Stirn gesetzt, weil er sich aus Angst weigerte, mitten in der Nacht weiter zu graben. Er glaubte, er müsse sterben, sobald das Grab fertig sei. Vasile wurde nicht erschossen. Am nächsten Tag wurden dann zwei Leichen begraben, und zwei Kreuze mit den Namen zweier verstorbener Offiziere aufgestellt. Als das Begräbnis der Ceausescus Monate später im Fernsehen übertragen wurde, habe man den Namen des Friedhofs nicht verraten, aber die Kapelle sei deutlich im Hintergrund zu sehen gewesen. Vasile habe „seinen“ Friedhof sofort erkannt. Nachher wurden die zwei Originalkreuze durch neue ersetzt, auf denen die Namen der Ceausescus zu lesen waren. Wer das getan hat, und wie es möglich war, ohne Genehmigung und Wissen der Friedhofsverwaltung, bleibt ein Rätsel.

„Sind Sie nächstes Wochenende noch da?“ plaudert der Friedhofswächter. Denn am nächsten Sonntag, so das neueste Gerücht, sollen die Leichen der Ceausescus wieder ausgegraben werden. Ceausescus Tochter Zoe hat ein Verfahren gegen den rumänischen Staat angestrengt, die Leichen sollen exhumiert und ihre Identität festgestellt werden, denn Zoe hegt Zweifel daran, dass es sich bei den Bestatteten tatsächlich um ihre Eltern handelt. Falls es aber doch die Leichen der Ceausescus sind, will Zoe eine Neubestattung – diesmal mit orthodoxem Priester – in Nicolae Ceausescus Geburtsstadt Scornicesti veranlassen. Zoe Ceausescus Forderung wurde am 30.9. abgelehnt, sie hat aber gegen das Urteil Berufung eingelegt.

Bis die Leichen tatsächlich ausgegraben sind, werden die Gerüchte weiterhin um das Grab schwirren. Am Friedhof will man wissen, dass Ceausescus Leiche in Zement gegossen worden sei, was wiederum das Gerücht untermauert, dass seine Leiche vielleicht noch ganz sei. Laut rumänischem Volksglauben bedeutet das, sagt Ioana Popescu, dass ihn die Erde nicht haben will. Ist eine Leiche nach sieben Jahren in der Erde nicht aufgelöst, dann ist der Verstorbene so böse, dass ihn die Erde abweist, und er wird als böser Geist oder Vampir zurückkehren – oder aber es bedeutet, dass er ein Heiliger ist: „Das darf man sich selbst aussuchen“, fügt Ioana Popescu ironisch hinzu.

Auch die physische Lage des Grabes ist eine Grauzone. Traditionell spiegelte der Friedhof die Sozialstruktur im Dorf wider, erzählt Ioana Popescu. „Gute“ Tote wurden so begraben, wie sie gelebt hatten; Nachbarn wurden neben Nachbarn begraben. Aber „schlechte“ Tote – ungetaufte Kinder, Mörder, Kriminelle, Selbstmörder – wurden marginalisiert, indem sie in der Peripherie des Friedhofs begraben wurden. Ioana Popescu fällt auf, dass Ceausescus Grab zwischen zwei Gräbern, mitten auf einem Gehsteig neben der Hauptallee, seine Ruhestätte hat. Die Straße ist traditionell ein „gefährlicher Ort“, weil es ein Gebiet ist, wo unkontrollierte und ungesteuerte Kräfte herrschen. Die Straße wird von Geistern und Fremden heimgesucht. Dass Ceausescu auf dem Gehsteig begraben ist – im Zirkulationsraum – zwischen zwei Gräbern, marginalisiert ihn, sagt Ioana. Er befindet sich zwischen kulturellem und unbekanntem Areal, im heimgesuchten Raum.

Es ist bekannt, dass Elena und Nicolae Ceausescu gemeinsam in den Tod gehen wollten, aber ihre Gräber sind durch die Hauptallee getrennt. Die Grabwächter wissen nicht, warum jeder für sich begraben ist: „Das war Gelu Voican-Voiculescus (der für das Begräbnis zuständig war) Idee“, meinen sie. Aber Elena wird als noch böser als Nicolae betrachtet, sagt Ioana Popescu; viele, u. a. die Altkommunisten, glauben, Elena hätte einen schlechten Einfluss auf Nicolae Ceausescu gehabt – daher sollte sie vielleicht im Tod von ihm getrennt sein.

Wer besucht Ceausescus Grab? Die Friedhofswächter erzählen, dass viele ausländische Delegationen zum Grab pilgern, insbesondere Diplomaten aus kommunistischen Ländern wie China und Nordkorea. Aber auch neugierige Touristen, besonders junge Pärchen, kommen vorbei. Von den Rumänen zieht es vor allem ältere Leute hierher, sie zünden Kerzen an und legen Blumen nieder. Sie beklagen das Schicksal ihres ehemaligen Herrschers: „Er wurde erschossen wie ein Hund“, heißt es unter den Alten.

Besonders viele Besucher kommen an Nicolae Ceausescus Namenstag am 6. Dezember, sowie an seinem Geburtstag am 26. Januar. Dann besuchen die Altkommunisten ihren Conducator, sie bringen einen Priester mit, decken einen Tisch mit einem roten Tuch, Wein und Brot. Der Friedhofswächter, der seit sieben Jahren am Friedhof arbeitet, sieht keinen Widerspruch darin, dass gerade die Altkommunisten die orthodoxen Rituale vollziehen, eher im Gegenteil: „Die Kommunisten machen ja alles korrekt“.

„Ich mag Ceausescu gehasst haben, aber nicht seine Leiche“

Wie die Ceausescus erschossen wurden, kann in jedem Lexikon nachgelesen, die Transkription des Prozesses auf www.ceausescu.org abgerufen werden. In regelmäßigen Abständen werden Interviews mit den Mitgliedern des Erschießungskommandos in rumänischen und internationalen Zeitungen veröffentlicht.

Die symbolischen Bestrafungsrituale, die der Hass auf Ceausescu erzeugt hat, werden u. a. von Anneli Ute Gabanyi (1990: 71f.) beschrieben: „Gelegentlich arteten die Rituale in kollektiven Exorzismus aus, einprägsam etwa die Szene, die den ehemaligen Museumswächter in Ceausescus gehätscheltem und zur Kleinstadt hochgepäppeltem Geburtsort Scornicesti zeigte, wie er ein Großporträt des abgesetzten Diktators von der Wand nahm, und ‚Teufel’ und ‚Monster’ brüllend, mit einem Flaggenstiel durchbohrte … Dabei fällt auf, dass die Verteufelung Ceausescus mit derselben Ausschließlichkeit und ritualisierten Hingabe zelebriert wurde wie der ihm zuvor dargebrachte Kult“.

Was aber mit den physischen Leichen der „Bösen“ nach deren Erschießung passierte, kann nirgends nachgelesen werden. Thomas Kunze (2000: 402) schildert kurz, wie die Leichen nach der Erschießung in Targoviste per Hubschrauber zum Ghencea Stadion verfrachtet wurden, dort „verschwanden“, aber am nächsten Morgen wieder auftauchten und in die Leichenhalle des Militärkrankenhauses transportiert wurden. Auch Armin Heinen (2004) liefert eine Kurzversion vom Umgang mit den Leichen.

Im Gebäude des neuen „Institut für die Revolution Dezember 1989“ in Str. C.A. Rosetti 33 in Bukarest, in einem Zimmer voller Baustaub, erklärt der damalige Vizepremierminister Gelu Voican-Voiculescu – der am Prozess und an der Exekution beteiligt war und beim Begräbnis als Zeremonienmeister agierte – die Details:

„Nach der Erschießung wurden die Leichen in khakigrünen Militär-Zeltplanen eingepackt. Dann flogen wir mit den Leichen in einem Hubschrauber zum Ghencea Stadion in Bukarest. Wir stiegen aus, und baten die Unteroffiziere zu warten, bis ein Militärauto die Leichen abholen konnte. Es war finster. Und wir warteten lange auf das Auto. Die Hubschrauberpiloten hatten Angst – alles war unsicher, das gegenseitige Misstrauen war groß, keiner wusste, was als Nächstes passieren würde.

Die Schießereien rund um das Stadion kamen näher, und die Piloten wollten nicht länger warten, sie dachten, es wäre sicherer, die Leichen liegen zu lassen. Sie befahlen den Unteroffizieren, bei den ‚Paketen’ Wache zu halten. Die Piloten hatten gesehen, dass Elenas Fuß aus einem der Pakete herausragte, und sie packten die Leichen aus. Sie sahen furchtbar aus; blutverschmiert. Die Piloten schleppten die Leichen hinter einen Hügel, und dann gingen sie fort.

Es war kalt und finster, und wir wollten uns aufwärmen. Wir ließen die Leichen liegen und gingen davon. Das Stadion war mit Schnee bedeckt, und es gab einen kleinen Weg im Schnee, auf dem wir gegangen sind. Da wo der Hubschrauber gelandet war, war der Schnee weg. Als später die Unteroffiziere, die die Leichen abholen sollten, kamen, suchten sie rund um den Hubschrauber-Landeplatz, fanden aber keine Leichen. Sie meldeten das, und gingen wieder weg.

Die ganze Nacht wurde nach den Leichen gesucht, und es wurde auch im Radio darüber gesprochen. Am nächsten Morgen gab es Gerüchte, dass die Terroristen die Leichen gestohlen hätten. Eigentlich waren wir recht zufrieden damit, denn so hätten sie (die Terroristen) wenigstens Gewissheit darüber bekommen können, dass Ceausescu wirklich tot war – keiner hätte nachher behaupten können, er lebe noch immer.

Am nächsten Tag, am 26. Dezember, beorderte Stanculescu acht Fallschirmjäger her. Das gegenseitige Misstrauen war groß. Stanculescu wollte, dass wir zurück zu der Stelle gingen, an der wir die Leichen liegen gelassen hatten. Wir hatten Angst, dass uns die Terroristen töten würden, wenn wir zur selben Stelle zurückkehrten, weil wir sie ja getötet hatten. Wir sagten: ‚Wir haben sie hinter dem Hügel gelassen’. Und da waren sie immer noch! Alle waren wieder ruhig. Stanculescu rief das Militär, und sie brachten die Leichen zur Leichenhalle des Militärspitals. Da wurden sie hergerichtet, sie wurden gewaschen, die Haare gekämmt, und man hat ihre Kleider, die ganz zerschossen waren, in Ordnung gebracht. Sie wurden nicht umgezogen. Dann wurden die Leichen in Kühlfächer gelegt.

Die Leichen blieben in der Leichenhalle bis zum 30. Dezember. Als die Schießereien vorbei waren, und alles ruhig war – wir befanden uns am Piata Victoriei, und waren damit beschäftigt, die neue Staatsmacht zu organisieren – erinnerten wir (Ion Iliescu, der damalige Premierminister, Petre Roman, der engere Kreis) uns wieder an die Leichen, und wir fragten uns: ‚Was sollen wir mit ihnen tun?’ Alle waren sich einig, dass das mein Job sei, ich solle mich darum kümmern. Noch am selben Tag war ich bei Stanculescu, der jetzt Minister für Nationalökonomie geworden war. Stanculescu organisierte alle Formalitäten, denn man konnte ja nicht einfach eine Leiche am Friedhof begraben ohne Todesurkunde. Wir riefen den ‚Ziviloffizier’ (der Todesfälle registriert, und Todes-, Geburts- und Heiratsurkunden ausfertigt).

Alles musste streng geheim bleiben, denn keiner durfte wissen, wo sich die Leichen befanden. Die Leute waren alle so hasserfüllt, dass sie die Leichen zerrissen hätten, wenn sie sie in die Finger bekommen hätten. Viele sagten, man solle die Leichen verbrennen, aber ich sagte: ‚Nein, wir sind orthodoxe Christen, die Leichen sollen ordentlich begraben werden. Man soll Respekt vor den Toten haben.

Am Nachmittag, gegen 16 Uhr 30 – es dämmerte schon – wurden die Leichen zum Ghencea Zivilfriedhof transportiert. Stanculescu hatte in der Früh schon zwei Grabplätze am Zivilfriedhof organisiert – am Militärfriedhof wollten sie die Leichen nicht haben, da sie keine Militärs waren. Wir schrieben die Namen zweier Offiziere, die während der Revolution getötet worden waren, auf die Kreuze. Wir mussten die Grabplätze nehmen, die wir bekommen konnten, wir konnten nicht wählerisch sein, es sollte alles schnell gehen. Nicolae Ceausescu wurde an einem kleinen Durchgangsweg bestattet, wir konnten keinen anderen Platz finden. Es gab keine zwei freien Grabplätze nebeneinander – es war also nicht geplant, dass jeder für sich begraben wird.

Ich habe drei handvoll Erde auf die Kiste geworfen, und sagte: ‚Möge Gott ihm seine Taten verzeihen’, sowie ‚Möge die Erde leicht auf ihm ruhen’. Ich mag zwar Ceausescu gehasst haben, aber nicht seine Leiche. Die Totengräber haben nicht gewusst, wer begraben wird, aber die Bestattung wurde gefilmt, und später – am 22. April – im Fernsehen ausgestrahlt. Im Hintergrund konnte man die Kapelle des Friedhofs sehen, und die Leichengräber erkannten sich wieder. Danach wurde schnell publik, dass die Ceausescus am Ghencea begraben liegen.“ (Gespräch der Autorin mit Gelu Voican-Voiculescu, 26.9.2005).

Wie es möglich gewesen sei, die zwei Originalkreuze mit den Namen der Offiziere gegen neue Kreuze mit den Namen der Ceausescus auszutauschen, bzw. neue Kreuze zu errichten – ohne Genehmigung oder Wissen der Friedhofsverwaltung – bzw. wer es veranlasst hat, kann auch Voican-Voiculescu nicht erklären. Für ihn ist das Thema abgeschlossen und relativ einfach: “Die Entscheidung, das Verfahren gegen die Ceausescus einzuleiten, wurde vom Wunsch nach Überleben diktiert – entweder sie oder wir“, sagte Voiculescu in einem Seminar im Dezember 1995 in Ceausescus Palast des Volkes in Bukarest. Das Urteil und die Exekution seien die Ausführung des „gemeinsamen Wunsches des Volkes“.

„Er verschwand nach der Revolution“

Welche Bedeutung haben Begräbnisrituale für die Erinnerungen an den Verstorbenen? Verdery beschäftigt sich hauptsächlich mit den „guten” Toten, die ein “proper burial”, ein ordentliches Begräbnis, verdient haben, und beschreibt die Wichtigkeit der guten Beziehungen zwischen Lebenden und Toten:

“Because the living not only mourn their dead but also fear them as sources of possible harm, special efforts are made to propitiate them by burying them properly. (…) Proper burials have myriad rules and requirements, and these are of great moment, for they affect the relations of both living and dead to the universe that all inhabit.” (Verdery 1999: 42)

In einer Fußnote erläutert Verdery, dass es nicht nur auf die Beziehungen zwischen den Lebenden und den Toten in einem Begräbnis ankommt, sondern auf die gemeinschaftstiftende Funktion:

“It is not only the relations of living and dead that are at stake in a proper burial: additionally, in many societies it takes a proper burial for the deceased to become fully a “person”, embedded in a specific set of social relations (a specific community of mourners) and ready for incorporation into a specific set of already dead souls (ancestors, in fully kin-based societies, and ancestors plus others, elsewhere). Proper burial creates these communities, drawing boundaries that include some possible mourners and exclude others, invoking connections with some and not other already dead souls. (Verdery 1999: 139)

Verdery’s Überlegungen zum Begräbnis beziehen sich auf „gute“ Tote und können daher nicht direkt auf „Abjekte“ wie Ceausescu angewendet werden. Das Begräbnis des „Bösen“ ist komplexer, aber auch hier gibt es ein bestimmtes Bündel an Begräbnisritualen für den Umgang mit dem Toten. Jan Assmann (1992b: 43) unterscheidet zwischen einer Mythomotorik der „Integration“ und der „Distinktion“. Kann man im Begräbnis von Nicolae Ceausescu eine Verbindung zwischen christlich-orthodoxer bzw. folkloristischer Rituale und dem postrevolutionären Umgang mit der Leiche des personifizierten Bösen sehen?

Die Meinungen rumänischer Historiker und Anthropologen gehen auseinander. Laut dem rumänischen Historiker Bogdan Murgescu haben die (fehlenden) Begräbnisrituale keinen tieferen Sinn gehabt: „Für die Leute, die Ceausescu erschossen haben und beschlossen, was mit der Leiche passiert, spielten Religion oder Riten keine Rolle. Es gab – meiner Meinung nach – keinerlei spirituellen Gedanken. Das war alles sehr pragmatisch: Man musste ihn begraben. Man wollte erstens eine Glorifizierung, und zweitens eine Schändung (der Leiche) vermeiden. Aber man hat damals nicht sehr weit gedacht.“ (Gespräch der Autorin mit Murgescu, Bukarest, 22.9.2005)

Fragt man in Rumänien nach dem Tod Ceausescus, oder konkret nach dem Umgang mit seiner Leiche, wird das komplizierte Verhältnis zu seinen Überresten – und zu der Bedeutung, welche sie tragen – deutlich. Im rumänischen Dorfmuseum in Bukarest wollte ich Experten für Begräbnisrituale nach den Umständen des Begräbnisses, sowie der Semiotik der Grabmäler befragen. Sie zeigen aber wenig Verständnis für das Interesse der Außenseiterin an diesem heiklen Thema. Die junge Kunsthistorikerin Valentina Iancu geht sofort in die Offensive: „Warum interessieren Sie sich dafür? ICH interessiere mich nicht dafür, und ich bin Rumänin. Warum sollte es also Sie interessieren? Uns ist das egal!“

Es ist also ihr Abjekt, nicht meines. Als ich Sanda Larionescu, Expertin für rumänische Begräbnisrituale, mein Vorhaben schildere, blockt auch sie ab: „Aber Ceausescu war ja ein Tyrann!“ Ceausescu war Kommunist, und er war nicht religiös. Warum hätte er ein ordentliches Begräbnis bekommen sollen? Sie weiß, dass er – möglicherweise – auf dem Ghencea-Friedhof begraben liegt. Aber sie will nicht wissen, wie er begraben wurde. Ihr anwesender männlicher Kollege fügt schnell hinzu: „Man weiß noch immer nicht, ob er tot oder lebendig ist. Das Kreuz steht (am Friedhof) wo er vielleicht begraben worden ist. Viele glauben aber, dass er nicht erschossen wurde. Die allerwenigsten trauern um ihn. Er verschwand nach der Revolution.“ (Gespräch der Autorin mit den ExpertInnen, Bukarest 22.9.2005)

„Lost body“

Ceausescu verschwand wirklich nach der Revolution – jedenfalls auf symbolischer Ebene. Zumindest lässt sich so das wissenschaftliche Des- oder Anti-Interesse an Ceausescus Leichnam und Begräbnis interpretieren. ”Die Leiche Ceausescus ist den Leuten egal. Es ist einfach kein Thema“, analysiert Vintila Mihailescu, Professor für Anthropologie an der Universität Bukarest: „Ceausescu ist weggeschoben, abgestoßen, abgewiesen; er ist ein Abjekt. Keiner will sich damit auseinandersetzen oder sich damit beschäftigen. Er ist Teil eines größeren Zusammenhangs – es ist sehr schwierig, über Erinnerungen an den Kommunismus zu arbeiten. Man weist es von sich.“

Die ersten Affekte, die in der Verarbeitung von Erinnerungen entstehen, sind Rache und Vergeltung, sagt Mihailescu: „In der Phase, in der wir uns jetzt befinden, geht es um die Erinnerungen der Opfer. Es gibt z.B. kein Museum für Kommunismus, aber es gibt ein Memorial of Communism in Sighet. Jetzt will man z.B. auf orale Geschichte fokussieren, über die Zeit des Kommunismus – aber man blendet die Erinnerungen der Arbeiter aus. Man hat also diese moralischen, ideologischen Vorurteile, die sich auch in der Wissenschaft niederschlagen.“

In den letzten Jahren sind einige Bücher über Erinnerungen an den Kommunismus erschienen. Aber alle sind von sehr jungen Autoren geschrieben worden, die sich autobiographisch mit dem Stoff auseinander gesetzt haben – „Egografia“, nennt sie Mihailescu: „Das ist alles sehr subjektiv, und erhebt auch keinen Anspruch auf Objektivität. Das sind alles Leute, die nicht selber während des Kommunismus gelebt haben, bzw. zur Zeit der Revolution sehr jung waren. Die Generation, die wirklich involviert war, hat nichts anderes als Opfererinnerungen produziert, sowie Erinnerungen an die Täter.“

Die Historiker – u. a. am Institut für Zeitgeschichte – versuchen, die Erinnerungen an den Kommunismus aufzuarbeiten. Die meisten versuchen es aber erst gar nicht: „Es gibt einige immer wieder genannte Gründe, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen: Die Historiker sagen, es sei ‚zu früh’. Zu früh für was? Das ist nur eine Ausrede. Ein anderes Argument, das man oft hört ist, dass das Thema nicht von Bedeutung wäre. Ceausescu ist also ein Nicht-Objekt,“ sagt Mihailescu.

Das gilt auch auf anderen Ebenen, etwa auf der Ebene des Begräbnisses und der Rituale: „Ceausescus Leiche ist ebenfalls ein Nicht-Objekt. Tote Personen müssen durch verschiedene Phasen gehen, Leichen entstehen nicht von selbst, sie werden ‚gemacht’, ‚aufgebaut’. Die Gesellschaft muss verschiedene Phasen durchmachen, sonst wird die Leiche ein ‘lost body’. Sie ist nicht physisch deplaziert, sondern ist auf einer symbolischen Ebene ‚verloren’. Leute, die verschwunden sind, oder im Krieg umgekommen sind, bekommen ein symbolisches Begräbnis, und ein symbolisches Grab. Somit hat man dann die Leichen heimgeholt, und einen Ort für sie geschaffen.“

Mihailescu zeigt die weitreichenden Konsequenzen der fehlenden Rituale für die Erinnerungen an den Toten auf: „Bei Ceausescu ist es ein „doppelter Verlust“; niemand weiß genau, wo sich die physische Leiche befindet. Sie ist außerdem symbolisch verschwunden, da es keine ausreichenden Rituale gegeben hat. Vielleicht hat Voican-Voiculescu ein Paar Worte gesprochen, aber es war nur ein Teil des Rituals.“

Es gibt Presseberichte über ältere Leute, die versuchen, die Leiche nach einem Jahr, oder nach 7 Jahren wieder herzustellen, erzählt Mihailescu: „Sie versuchen, die Dinge wieder richtig zu machen. Aber das ist eine periphere Erscheinung. Keiner weiß genau, was getan wurde oder getan wird. Man hat das Gefühl, dass die Leiche verloren ist. Keiner weiß genau, ob Ceausescu wirklich da ist, in seinem Grab. Und man hat bis jetzt keine Erlaubnis bekommen, ihn wieder auszugraben. Sein Status ist unklar, aber auf alle Fälle irregulär.“ (Gespräch der Autorin mit Vintila Mihailescu, Bukarest, 26.9.2005)

Europas Untergrund

Der Tod wird oft als Tabubereich in der heutigen Gesellschaft beschrieben. Es gibt aber wenigstens zwei Bereiche, wo der Tod nicht nur zur Schau gestellt, sondern auch aktiv zum Einsatz kommt oder sogar instrumentalisiert wird; nämlich Politik und Geschichte. Das trifft besonders dort zu, wo sich diese beiden Bereiche treffen: wo der Tod als Historisierungsschwelle fungiert – und Epochen eröffnet oder verschließt.

Dass der jähe Tod des Conducator und das „Verschwinden“ seiner Leiche ein Musterbeispiel der negativen Sinnbildung ist, und ein Trauma in der rumänischen Gesellschaft hinterlassen hat, steht meiner Meinung nach außer Zweifel. Die Angst und die Gerüchte waren einige der wenigen gemeinsamen Nenner vor, während und nach der Revolution. Die (zeitversetzte) öffentliche Übertragung der Hinrichtung hat die gesamte Gesellschaft in den Bann gezogen, und somit eine ganze Nation nicht nur abgeschreckt, sondern gleichzeitig auch zu Mittätern gemacht.

Es mag wenige gemeinsame, grundlegende Werte während der Revolution gegeben haben, durch die sich ein gesellschaftlicher Konsens hätte herstellen lassen. Aber die „Generationsidentität“, die von diesen Ereignissen geprägt ist, ist – glaube ich – teilweise auch vom eigenen Hass (transformierte, langjährige Angst?) traumatisiert.

Die „negative, zynische Theodizee“ (Harth 1992: 32) des politischen Mordes braucht und erzeugt legitimierende Mythen. Die relativ große Zahl an Rumänen, die auf irgendeiner Ebene mit dem Ceausescu-Regime kooperiert hat, hat zur Tabuisierung beigetragen: Die Gewalt an der Symbolfigur Ceausescu bediente sich, um Gordy nochmals zu zitieren, der Sprache der Furcht: wer die Macht besitzt, den Diktator Ceausescu zu töten, besitzt allemal die Kraft, seine Spitzel mundtot zu machen.

Die große gesellschaftliche Macht der Rituale hat mich jedoch überrascht: die alten, folkloristischen Überlieferungen und Traditionen knüpfen nahtlos an die postkommunistische rumänische Wirklichkeit an. Der „schlechte“ Tote, der (fast) ohne Rituale begraben worden ist, bleibt tatsächlich untot. Somit markiert der Tod zwar eine Historisierungsschwelle; Ceausescu spukt aber noch immer hinter den Kulissen der rumänischen Öffentlichkeit und im politischen und historischen Untergrund Europas herum.

Ist die Vergangenheit gelöscht und abgekühlt, wie Charles S. Maier (2002) den Unterschied zwischen den „Halbwertszeiten“ von Gulag („kalte Erinnerungen“) und Holocaust („heiße Erinnerungen“) paraphrasiert? Das Bild der Ceausescu-Leichen, die im Schnee vergessen wurden, ist gleichzeitig eine Metapher dafür, dass die Halbwertszeit der Erinnerungen an sie und ihre traumatische Ära noch nicht beginnen konnte, weil sie nur not-deponiert wurden. Die Leichen sind in den Erinnerungen noch nicht verwest, weil sie nicht „ordentlich“ begraben wurden; die rituell geregelten Erinnerungsprozesse haben bis heute nicht stattgefunden. Eine Neubestattung – wie von Ceausescus Tochter Zoe gefordert – und deren gesellschaftliche und politische Folgen stehen zu diesem Zeitpunkt noch aus.

Das rumänische Fallbeispiel fügt sich in einen größeren Kontext ein, der die im Umgang mit den sogenannten „Transformationsgesellschaften“ gewöhnliche Zeitspanne überschreitet. Die hier beschriebenen Ereignisse lassen sich als Teil einer gesamteuropäischen Erfahrung interpretieren, und – weil der Umgang mit toten politischen Führer für alle Gesellschaften relevant ist – brechen sie auch den gängigen (west- vs. ost-)europäischen politischen Horizont auf. Ich hoffe, somit zur transeuropäischen Wissensteilung und zur Normalisierung der Perspektive auf den Analyseraum beigetragen zu haben.


Literatur:

Assmann, Aleida: „Von individuellen zu kollektiven Konstruktionen der Vergangenheit“. Vorlesung Universität Wien. URL: http://www.univie.ac.at/zeitgeschichte/veranstaltungen/a-05-06-3.rtf (04.12.2005).

Assmann, Jan 1992a: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in den frühen Hochkulturen. München: Beck.

Assmann, Jan 1992b: “Frühe Formen politischer Mythomotorik – Fundierende, kontrapräsentische und revolutionäre Mythen”. In: Jan Assmann und Dietrich Harth (Hg.): Revolution und Mythos. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.

Balaci, Dumitru: “Guarding Nicolae”. Transitions Online Magazine, 17.12.2003.

Bradatan, Costica: „A Time of Crisis – A Crisis of Time: The Political Reproduction of Time in Communism and its Relevance for the Postcommunist Debates“. In: East European Politics & Societies 2005, vol. 19/no. 2, pp. 260-290.

Borneman, John 2003: Death of the Father: An Anthropology of the End of Political Authority. New York: Berghan Books.

Ford, Franklin L. 1990: Der politische Mord – von der Antike bis zur Gegenwart. Hamburg: Junius Verlag.

Gabanyi, Anneli Ute 1990: Die unvollendete Revolution. Rumänien zwischen Diktatur und Demokratie. München: Piper Verlag.

Gallagher, Tom 2005: Modern Romania – the End of Communism, the Failure of Democratic Reform, and the Theft of a Nation. New York: New York Univ. Press.

Gordy, Eric: “Serbia after Djindjic. War Crimes, Organized Crime, and Trust in Public Institutions.” In: Problems of Post-Communism, vol. 51/no. 3, May/June 2004.

Heinen, Armin: „Der Tod des Diktators und die Gegenwart der Vergangenheit: Rumänien 1989-2002“. In: Zeitenblicke 3/Nr. 1 (09.06.2004) URL: http://zeitenblicke.historicum.net/2004/01/heinen/index.html (08.12.2005).

Horn, Eva 2001: “Tod, Tote”. In: Nicolas Pethes & Jens Ruchatz (Hg.): Gedächtnis und Erinnerung: ein interdisziplinäres Lexikon. Reinbek: Rowohlt Taschenbuchverlag.

Kristeva, Julia 1982: Powers of Horror: An Essay on Abjection. New York: Columbia Univ. Press.

Kunze, Thomas 2000: Nicolae Ceau?escu – eine Biographie. Berlin: Links Verlag.

Maier, Charles S.: “Hot Memory … Cold Memory. On the Political Half-Life of Fascist and Communist Memory.” In: Tr@nsit online 22/2002, Wien.

Murgescu, Bogdan 2006: “Geschichte im Transformationsprozeß: Rumänien”. In: Helmut Altrichter (Hg.): Gegenerinnerung – Geschichte als politisches Argument. Schriften des historischen Kolleges, Kolloquien 61, Oldenburg.

Oprea, Marius: “The Case of Romania.“ In: Hatschikjan, Magarditsch (Hg.): Past and Present: Consequences for Democratisation. Thessaloniki: CDRSEE 2004, pp. 12-13. URL: http://www.lustration.net/pap_cfd.pdf (04.12.2005).

Pethes, Nicolas & Ruchartz, Jens (Hg.) 2001: Gedächtnis und Erinnerung. Ein interdisziplinäres Lexikon. Reinbek: Rowohlt Taschenbuchverlag.

Rév, István: “ Parallel Autopsies.“ In: Representations 1995/49, pp. 15-39.

Rüsen, Jörn 2001: Zerbrechende Zeit. Über den Sinn der Geschichte. Köln/Weimar/Wien: Böhlau.

Scobel, Gert: „Diabolus: Die Entstehung von Gewalt. Das Böse lauert im Nachahmungstrieb des Menschen – und in seiner Angst vor der Freiheit“. In: Du 9/2005, S. 41-42.

Siani-Davies, Peter 2005: The Romanian Revolution of December 1989. Ithaca: Cornell University Press.

Todorova, Maria 1997: Imagining the Balkans. New York/Oxford: Oxford Univ. Press.

Verdery, Katherine 1999: The Political Lives of Dead Bodies – Reburial and Postsocialist Change. New York: Columbia Univ. Press.

Vertzberger, Yaacov Y.I.: “The Antinomies of Collective Political Trauma: A Pre-Theory.” In: Political Psychology, December 1997, vol. 18/no. 4. URL: http://ispp.org/publications/journal/back/v18/pops083.pdf (01.12.2005).

Wagner, Richard 2000: Miss Bukarest. Berlin: Links Verlag.

Wilkinson, Doris Y. 1976: Social Structure and Assassination Behaviour. The Sociology of Political Murder. Cambridge, Mass.: Schenkman Publishing Company.


 

Naja Bentzen studied German Literature at the University of Kopenhagen and graduated from the Balkans Program of the Institut für den Donauraum und Mitteleuropa, Vienna. She was a Milena Jesenska Fellow in 2005 and now works as a free lance journalist in Vienna.

 

Anmerkungen:

Mein Dank gilt Vintila Mihailescu, Bogdan Murgescu, Anca Paduraru und Ioana Popescu.

Eric Gordys Beobachtung betrifft das Attentat am serbischen Premierminister Zoran Djindjic, ist aber – meiner Meinung nach – für politischen Mord generell anwendbar.

Die Geschichte des politischen Mords ist nicht konstant, und kann lt. Ford (1990: 16) keineswegs einfach als „Berufsrisiko“ für Politiker eingestuft werden. Die Geschichte zeigt, dass „es zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten Attentate in ganz unterschiedlichem Ausmaß gegeben hat. (…) Wir finden fast keine Attentate auf dem griechischen Festland im 5. jahrhundert v. Chr. Oder in beinahe der gesamten römischen Republik von ihrem Entstehen bis zu dem Zeitpunkt, als politische Morde den Beginn ihrer tödlichen Agonie markierten, oder im größten Teil Europas von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis fast zum Ende des 18. Jahrhunderts.“

Ich verwende hier das Wort Revolution, ohne es mit Anführungszeichen zu versehen, für die Form der Wende. Die „wahren“ Ursachen der Wende müssen in diesem Rahmen ausgeklammert werden; hier soll es um die Folgen in Gestalt der Leiche von Nicolae Ceausescu gehen. Für einen Überblick über die Diskussion, ob die Wende ein coup d’état, eine getarnte Rebellion, eine Fernsehinszenierung oder ein wirklicher Volksaufstand gewesen ist, siehe etwa Armin Heinen (2004), bzw. vergleiche Peter Siani-Davies (2005) mit Gallagher (2005) für die neuesten Erkenntnisse.

„Unter Staats- und Parteichef N. Ceausescu (1965-89), der ein zunehmend vom Personenkult geprägtes diktatorisches Herrschaftssystem (gestützt auf die Geheimpolizei Securitate) errichtete, praktizierte Rumänien eine Außenpolitik der ‚Öffnung nach allen Seiten’. So nahm Rumänien nicht an der Besetzung der CSSR durch Truppen des Warschauer Paktes 1968 teil und distanzierte sich von der sowjetischen Besetzung Afghanistans 1979. Umsiedlungspläne der Regierung für Rumäniendeutsche und Rumänienungarn begründeten außenpolitische Spannungen mit Ungarn und der Bundesrepublik Deutschland. Die katastrophale wirtschaftliche Lage (nach 1980) und die stalinistischen Herrschaftspraktiken (Menschenrechtsverletzungen) führten im Dezember 1989, ausgehend von der Stadt Temesvar (16./17.12.), zu einem Volksaufstand (ab 20.12.), in dessen Verlauf bei zahlreichen Opfern N.Ceausescu am 22.12. gestürzt und am 25.12. 1989 mit seiner Frau Elena hingerichtet wurde (sogenannte ‚unvollendete Revolution’).“ (c) Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus AG 2005. Die Ausstrahlung der Hinrichtung im Fernsehen folgte erst Tage später.

Die englischsprachige Originalausgabe erschien bereits im Jahre 1989, also vor der rumänischen Revolution.

Martin A. Conway 1997: “The Inventory of Experience: Memory and Identity”, in: James A. Pennebaker, Dario Paez, Bernard Rime, eds., Collective Memory of Political Events. Social Psychological Perspectives, Lawrence Erlbaum Ass., Publ., Mahwah, New Jersey, pp. 43. Hier zitiert nach Aleida Assmann (2005).

Horn (2001: 579).

Ivo Feierabend & Rosalind Feierabend et al.: „Cross-National Comparative Study of Assassination”. National Commission on the Causes and Prevention on Violence. Assassination and Political Violence. Washington, D.C.: U.S. Superintendent of Documents, 1969. Hier zitiert nach Wilkinson (1976: 7).

Wagner (2000: 162). Der Sohn eines nach Deutschland ausgewanderten Ex-Securitate-Spitzels erinnert sich an die Nachricht von der Revolution und den Tod der Ceausescus: „… dann kamen die Medienberichte vom Dezember 1989. Bei uns lief damals die ganze Zeit über der Fernseher. (…) Der Diktator bei seiner letzten Rede. Die ersten Protestrufe. Seine hilflosen Gesten. Die Menschenmassen auf den Straßen. Die Flucht mit dem Hubschrauber vom Dach des ZK-Gebäudes. Der lächerliche Prozeß. Sagenhaft kurzer Prozeß. Hinrichtung. Nicolae und Elena vermachen ihre Leichen dem Fernsehen. Lotte hatte bei den Nachrichten Tränen in den Augen. Es waren keine Freudentränen, es waren Tränen der Befreiung. Als fiele eine ungeheure Last von ihr. Als wäre sie plötzlich frei. Aber wir waren doch längst ausgewandert. Sie überlegte nach Bukarest zu telefonieren, doch Dinu sagte: ‚Laß das. Laß das lieber’.“ Armin Heinen (2004) fasst die verschiedenen Lesarten der Funktion dieser Ausstrahlung sehr treffend: „Die Kameraführung machte das Volk selbst zum Richter, indem es das Tribunal ausblendete, die Anwürfe aus dem Off auf das Tyrannenpaar herniederprasseln ließ (…) Viele Lesarten ließen die Bilder zu: Sympathie und Mitleid mit den Angeklagten, weil die Standfotos das Monster zum Opfer machten; (…) Schuldgefühl, weil sich die Rumänen all die Zeit hindurch von zwei armseligen Despoten, zwei sehr kleinen Kleinbürgern hatten tyrannisieren lassen; Scham, weil mit Blick auf Osteuropa allein in Rumänien 1989 scheinbar ein stalinistischer Schauprozess geführt wurde.“

Diese negative Logik mag für Gesellschaften signifikant sein, die von Parallellmächten geprägt sind – etwa das Serbien des ermorderten Staatschefs Zoran Djindjic.

Die Frage, ob der Tod Ceausescus ein Attentat, ein Tyrannenmord oder eine Hinrichtung war, muss hier offen bleiben, genau so wie die Hintergründe der Revolution, die seit 1989 Gegenstand wissenschaftlicher und populärer Untersuchungen sind. Aus der Sicht der neuen Machthaber war die Hinrichtung legitim, während Mitglieder der alten Riege erwartungsgemäß von einem Attentat sprechen. Ceausescus ehemaliger Doppelgänger, Dumitru Burlan, schreibt in der Widmung seiner Memoiren: „Nicolae Ceausescu (…), for he was betrayed by his own people and assassinated on Christmas Day“. Zitiert nach Balaci (2003).

Ford vergleicht das Drama um die Ceausescus mit dem Tod von Zar Nikolaus II. und seiner Familie im Jahre 1918; sieht aber eine bessere Analogie im „Schicksal von Benito Mussolini und Clara Petacci nach ihrer Gefangennahme durch italienische Partisanen im Frühjahr 1945 (…).“

Andrei Codrescu 1991: The Hole in the Flag: A Romanian Exile’s Story of Return and Revolution. New York. Hier zitiert nach Siani-Davies (2005: 289).

Laut einer Umfrage des Centrul de Sociologie Urban? ?i Regional? (CURS) für die Tageszeitung Jurnalul Na?ional belegt Nicolae Ceausescu den zweiten Platz (nach Stefan cel Mare) bei der (offenen) Frage „Welche Person hat am meisten Positives für Rumänien getan?“. Die Umfrage wurde in Jurnalul de Colec ?ie (Beiheft von Jurnalul Na?ional ) publiziert (16. Mai 2005). Die (für mich überraschende) fehlende Unpopularität Ceausescus wird auch in folgender Anekdote ausgedruckt, die John Borneman (2003) zitiert: “One day, to discover what people really thought of him, (…) Nicolae Ceausescu disguised himself as a poor peasant to travel among the masses. At the Bucharest train station he asked an old man his opinion of Ceausescu. The old man looked to make sure no one was listening. Then he asked the disguised Ceausescu to follow him as he led him through twists and turns on the dark Bucharest streets. When they finally arrived at a place far ‘off the beaten path’, making absolutely sure they were alone, and no one could hear him, the old man whispered in Ceausescu’s ear, ‘I like him’.”

Zur rumänischen Geschichtsschreibung im Transformationsprozeß, siehe Murgescu (2006).

Gordy (2004: 12) bemerkt: „In contexts of war and genocide, an essential rhetorical function is achieved by dehumanizing the enemy. Radio Mille Collines in Rwanda, for example, exhorted its listeners to kill the people whom it defined as “cockroaches”.

Übersetzung von “O LACRIMA PE MORMINTUL TAU DIN PARTEA POPORULUI ROMAN” durch Ioana Popescu.

Es gibt aber einige Pressemeldungen, u.a. von OMRI Daily Digest, vol. 2/no. 90, 96-05-09: “COMMUNIST NOSTALGICS PLACE CROSS ON CEAUSESCU’S GRAVE. The Romanian Workers’ Party (PMR), an extraparliamentary group composed of ‘communist nostalgics,’ have erected a cross on the presumed grave of former dictator Nicolae Ceausescu in a Bucharest cemetery, Evenimentul zilei reported on 8 May. The day marked the 75th anniversary of the establishment of the Romanian Communist Party. Although Ceausescu himself was an atheist, his grave is now marked by a cross inscribed with his name and dates of birth and death. The PMR also placed a cross on the grave of Ceausescu’s predecessor, Gheorghe Gheorghiu-Dej, whose body was removed from a pantheon to a regular cemetery. — Michael Shafir.” http://www.hri.org/news/balkans/omri/1996/96-05-09.omri.html (01.12.2005).

Siehe Bucharest Daily News vom 6.1.2006 http://www.daily-news.ro/article_detail.php?idarticle=20892 (06.01.2006).

In den Dörfern, so Ioana Popescu, errichten die Bewohner oft Kreuze an der Straße, sie zähmen die Straße mit Wasser, das von einem Kreuz geschützt ist, und oft legt man Brot auf den Zaun, um die Fremde zu zähmen und sie zu ”Eigenem” zu machen.

Armin Heinen (2004) erklärt diese „Durchbrechung des revolutionären Schauspiels“ dadurch, dass „in Rumänien die Vorstellung der lebendigen Toten durchaus noch aktiv ist, nämlich die Imagination, dass die toten Seelen das Begräbnis überwachen und die Lebendigen bestrafen, wenn die Totenzeremonie nicht allen Anforderungen genügt.“ Heinens anschließende Vermutung über die positive Bedeutung dieser notdürftigen Rituale sind meiner Meinung nach voreilig: „Das dem orthodoxem Titus nachgebildete Begräbnis sorgte dafür, dass die Ceausescus wirklich tot waren und dem Urteil und der Kraft höherer Mächte anvertraut wurden.“

Verdery’s Überlegungen hierzu können daher nicht direkt auf „Abjekte“ wie Ceausescu angewendet werden, sondern eben nur auf die „guten“ Toten – wie eben Zoran Djindjic.

Wo die Lustration in der Tschechoslowakei nach 1989 als Schema und Vorbild entstand, ist die Lustration in Rumänien weitgehend ein „Traum“ geblieben, schreibt Marius Oprea (2004: 12-13): Im Dezember 1989 hatte der rumänische Sicherheitsdienst 15.312 Mitarbeiter – 10.140 von denen waren Offiziere. In den zentralen Einheiten der Geheimpolizei Securitate arbeiteten 6600 Personen, in den territorialen Einheiten und für die Stadt Bukarest waren 6059 Personen tätig. Securitates Spezialeinheiten umfassten 2426 geheime Polizeispione. Die kommunistische Partei Rumäniens hatte 3.800.000 Mitglieder. Mit der Öffnung der Geheimarchive sollte die Transparenz Einzug gehalten haben, und die Tradition der Gerüchte damit theoretisch der Vergangenheit angehören. Unter Ceausescu war die „Gerüchtediktatur“ vorherrschend: Der öffentliche Zugang zu unzensurierten Fakten war äußerst begrenzt. Niemand wusste genau, was vor sich ging – oder welche Freunde, Nachbarn oder Kollegen als Spitzel für die Securitate tätig waren. Man geht davon aus, dass das Spitzel-Netzwerk mehrere Millionen Rumänen umfasste. Die genaue Zahl ist aber nach wie vor unbekannt – und bleibt somit Gegenstand von Gerüchten.

 

Tr@nsit online, 2006
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