Mein Fremdenführer sagt, dass ich hier auf der prestigeträchtigsten Bühne der deutschsprachigen Welt stehe. Umso mehr bedauere ich, dass ich hier nicht auf Deutsch sprechen kann. Ich bin mir auch nicht so sicher, ob das, worüber ich sprechen möchte, überhaupt in ein Theater gehört – außer aus einem Grund: Dem Thema, über das wir heute sprechen, haftet etwas Dramatisches, ja womöglich Tragisches an.
Die digitale Revolution ist, so Erstaunliches sie hervorgebracht hat, ein zweifelhafter Segen für die Demokratie. Sie ist sicher gut für die Meinungsfreiheit. Sie ist auch gut für die Informationsfreiheit, das heißt, um zuvor geheime oder unzugängliche Informationen einer breiteren Öffentlichkeit verfügbar zu machen. Doch sie war nicht durchgängig gut für die Pressefreiheit, wenn wir diese Freiheit als etwas verstehen, das sich nicht bloß auf die formalen Rechte bezieht, sondern auf die reale Unabhängigkeit der Presse als Institution.
Die digitale Revolution ist gut für die Meinungsfreiheit, weil sie die Vielfalt der Stimmen in der Öffentlichkeit vergrößert hat. Sie ist gut für die Informationsfreiheit, weil sie eine Kultur gestärkt hat, die Transparenz fordert. Gleichwohl hat die digitale Revolution die Freiheit der Presse nicht nur revitalisiert, sondern auch geschwächt. Sie hat dem Journalismus neues Leben eingehaucht, indem sie Neueinsteigern den Weg in die Medien geebnet und vielversprechende Innovationen hervorgebracht hat. In Ländern, wo die Presse geknebelt wird, ist diese Wirkung die wichtigste.
Aber in den etablierten Demokratien hat die digitale Revolution die Fähigkeit der Presse geschwächt, als wirkungsvoller Sachwalter öffentlicher Verantwortlichkeit aufzutreten, indem sie die wirtschaftliche Basis professioneller Berichterstattung untergraben und die Öffentlichkeit fragmentiert hat. Wenn wir den Gedanken ernst nehmen, dass eine unabhängige Presse unverzichtbarer Bestandteil jeder Demokratie ist, könnte ihre gegenwärtige Notlage die Demokratie selbst schwächen.
Das ist die Gefahr, der wir in den fortgeschrittenen Gesellschaften gegenüberstehen: Überall in der postindustriellen Welt sehen sich die Nachrichtenmedien mit einer langfristigen Krise konfrontiert, die von den Sozialwissenschaften nicht vorhergesehen wurde.
Seit den 70er Jahren sagten die Theorien der postindustriellen Gesellschaft jenen Bereichen, die mit der Produktion von Wissen und Information verbunden sind, eine glückliche, blühende Zukunft voraus. Und niemand unter den Vertretern der politischen Theorie sah eine Krise der Nachrichtenmedien kommen, die ein Problem für die Demokratie darstellen würde. Als sich das 20. Jahrhundert dem Ende neigte, weckte der Zusammenbruch des Kommunismus und der Sowjetunion eine gesteigerte Zuversicht – ja einen Triumphalismus – über die Zukunft der freiheitlichen Demokratie und ihrer Institutionen. Das Internet und andere neue Medien schienen anfänglich diese Zuversicht zu verstärken. Während sich die digitale Revolution entfaltete, argumentierten ihre Theoretiker, dass sie unweigerlich eine offenere, vernetzte öffentliche Sphäre schaffen und dadurch die demokratischen Werte und Praktiken stärken würde.
Kurz, all diese Perspektiven legten nahe, dass in der postindustriellen Welt freie Presse und Demokratie gemeinsam gedeihen würden.
Die Sozialwissenschaftler standen mit ihrem Optimismus nicht allein. Die Journalisten und Manager der Nachrichtenmedien sahen die Wachstumsaussichten ihrer Industrie ebenfalls zuversichtlich.
In den letzten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stützten die wirtschaftlichen Trends diese Erwartung. Wie die anderen Wissen schaffenden Berufe expandierte auch der Journalismus, und die Nachrichtenmedien blühten. Durch Personal Computer und Internet sanken die Kosten für die Produktion und Distribution von Informationen und Inhalten aller Art, und ehemals marginalisierte Gruppen und Einzelne konnten die Torwächter der alten Massenmedien umgehen und eine breitere Öffentlichkeit erreichen.
Doch in den letzten Jahren hat dieser Transformationsprozess für den Journalismus und allgemeiner für die Demokratie eine beunruhigende Wendung genommen. Ein Bündel langfristiger Trends hat die Finanzkraft der Nachrichtenmedien geschwächt und zu Entlassungen im Journalismus geführt. Nach einer jüngsten OECD-Studie ist zwischen 2000 und 2007 die Zahl der Zeitungsjournalisten in Norwegen um 53 Prozent, in den Niederlanden um 41 Prozent, in Deutschland um 25 Prozent und in Schweden um elf Prozent gesunken, während sie in Frankreich und Großbritannien stabil blieb. In den USA ist die Zahl der Journalisten nach jüngsten Schätzungen von 56.000 auf 40.000 gefallen.
Überall stehen die Medien unter großem finanziellem Druck. Die Ertragszahlen von Zeitungen, Magazinen und anderen Nachrichtenmedien in den reichen Demokratien weisen für die letzten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts ein Wachstum aus, erreichen um das Jahr 2000 Höchststände und fallen dann im letzten Jahrzehnt ab.
In der Erwartung, dass die Nachrichtenmedien in der postindustriellen Gesellschaft aufblühen würden, verkannte man einschlägige wirtschaftliche Faktoren, bereits im Gang befindliche soziale Tendenzen und neu aufkommende Technologien. Der vorherrschende Optimismus ignorierte, dass Informationen, Nachrichten eingeschlossen, ein öffentliches Gut sind und dass öffentliche Güter der Tendenz nach auf dem Markt systematisch unterproduziert werden. Er ließ außer Acht, dass die Nachrichtenmedien – mit wechselnden Graden von Erfolg – das Problem der Verknappung öffentlicher Güter unter Marktbedingungen nur deshalb hatten umgehen können, weil die bestehende Kommunikationstechnologie die Wege beschränkt hatte, wie die Öffentlichkeit an Information und Unterhaltung kommt und wie die Werbetreibenden ihre Konsumenten erreichen. Und obwohl es hätte klar sein müssen, dass neue Technologien die Wahlmöglichkeiten für die Werbetreibenden wie für die Öffentlichkeit erweitern würden, sah kaum jemand voraus, dass in dieser neuen Umgebung die Öffentlichkeit zersplittern würde, dass das Publikum für politische Nachrichten schrumpfen würde, dass es den Werbetreibenden möglich werden würde, ihre Adressaten zu erreichen, ohne Nachrichten zu sponsern, und dass die überkommene kommerzielle Basis zur Finanzierung des Journalismus zerschlagen würde.
Die Veränderungen in der Öffentlichkeit und die Nachfrage nach Information werden an den Generationsunterschieden deutlich. Die älteren Generationen, die ihre Gewohnheiten vor Jahrzehnten ausgebildet haben, lesen weiterhin gedruckte Zeitungen und sehen zu einer festen Uhrzeit die Fernsehnachrichten. Die jungen Leute hingegen legen sich diese Gewohnheiten gar nicht mehr erst zu. Die Folge ist, dass die traditionellen Medien zunehmend von einem alternden Publikum leben, obschon sie weiterhin einen Großteil der originären Berichterstattung liefern.
Diese Entwicklungen verlaufen nicht überall genau gleich. Mit ihren hauptsächlich kommerziell ausgerichteten Medien und ihrem rapiden Generationenwandel scheinen die Vereinigten Staaten mehr unter der Krise der Nachrichtenmedien zu leiden als die europäischen Länder mit ihren starken öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und ihrem langsameren Generationenwandels bei der Mediennutzung. Nach einer Phase, in der sich die Medien in Europa stärker dem amerikanischen Modell annäherten, werden sich die Medien in Amerika womöglich nun stärker in eine europäische Richtung bewegen – nicht dank staatlicher Zuwendungen, sondern eher dank philanthropischer Unterstützung. Außerdem wird der amerikanische Journalismus, besonders im Kabelfernsehen und im Internet, auch parteiischer und polarisierter werden, und das Publikum ihm folglich stärker misstrauen.
Dies alles ist für die amerikanischen Nachrichtenmedien, die sich gerne im Glanz ihrer Errungenschaften sonnten, ziemlich demütigend. Ihre gegenwärtigen Schwierigkeiten mögen hier in Europa, wo – zumindest in einigen Ländern – die Lage stabiler erscheinen mag, eine gewisse Schadenfreude wecken. Doch, um einen Ausdruck des berühmten austro-amerikanischen Ökonomen Joseph Schumpeter zu bemühen: Der Sturm der schöpferischen Zerstörung tobt, er wird nichts verschonen, und wie viel Schöpfung und wie viel Zerstörung er bringen wird, bleibt abzuwarten. Was für die Nachrichtenmedien als Unternehmen gut ist, mag nicht immer auch gut für die Demokratie sein; ja, was gut für das Nachrichtengeschäft ist, mag nicht einmal immer gut für den Journalismus sein. Vielleicht muss die Demokratie neue Wege finden, den Journalismus zu unterstützen und seine Unabhängigkeit zu garantieren.
Aus dem Englischen von Andreas Simon dos Santos
Beitrag zu einer Debatte im Wiener Burgtheater, veranstaltet im November 2010 vom IWM im Rahmen seiner European Debates und seiner Konferenzreihe über Solidarität (VI: Solidarität und Medien).
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Transit – Europäische Revue, Nr. 41/2011