Wie umweltfreundlich ist Demokratie, und wie demokratiefreundlich ist der Klimawandel? Beide Fragen scheinen sich auf den ersten Blick von selbst zu beantworten – natürlich lösen liberal-demokratische Systeme Umweltprobleme besser und sind krisenresistenter als Diktaturen, selbstverständlich werden sich westliche Demokratien bei der Abwendung der Klimakatastrophe und der Anpassung an schleichende und dramatische Klimafolgen besser bewähren. Erlebt man nicht gerade, wie brutal autoritäre Systeme in China und anderen Schwellenländern ökonomische Modernisierungsprogramme auf Kosten von Umwelt- und Lebensqualität durchdrücken, während im Westen Unternehmen und Regierungen unter massiven Legitimationsdruck geraten, wenn sie umweltpolitisch unbelehrbar und klimapolitisch unsensibel sind? Und ist nicht der Süden der Weltgesellschaft, in der Regel weniger demokratisch entwickelt, bereits jetzt stärker von Klimafolgen betroffen als der Norden?
Solche Fragen stellen sich nicht zum ersten Mal. So kam man in der politikwissenschaftlichen Forschung zur Umweltpolitik schon vor mehr als einem Jahrzehnt zu dem Schluss, es sei völlig plausibel »that democracy in general is a better precondition for environmental policy than authoritarian rule (…). There seems to be no need for explanation.« Und die mit Macht und auf voller Breite anlaufende »vierte Demokratisierungswelle« in Osteuropa und Ostasien machte Hoffnung, dass man der Lösung von Umweltproblemen nun auch weltweit näher kommen könne.
Evidenz gibt es inzwischen leider auch für die gegenteilige Annahme, dass Demokratien auf Klimaprobleme nämlich möglicherweise genauso schlecht vorbereitet sind und reagieren wie Autokratien, dass sie also nicht – in Analogie zur Theorie des Demokratischen Friedens – bereitwilliger in internationale und multilaterale Kooperation zur Mitigation und Adaptation von Klimafolgen einwilligen werden. Eine weitere Überlegung geht dahin, dass sie aufgrund ihrer hohen Abhängigkeit von Lobbygruppen und wegen der notorisch kurzen Legislaturperioden Umwelt- und Klimaprogramme möglicherweise weniger rasch und umfassend auf den Weg bringen können als Autokratien, wenn diese erst einmal einen gewissen Stand ökologischer Aufklärung erreicht haben. Die nationale und internationale Klimapolitik der Bush-Administrationen und das Fiasko des Katastrophenschutzes und der Nachsorge im Fall des Wirbelsturms Katrina im Jahr 2005 könnten dafür Anhaltspunkte bilden. Und man kann die Hypothese vorbringen, dass die chinesischen Regierungsstellen nicht nur mehr klimaschädliche Emissionen erlauben oder tolerieren, sondern eventuell auch schneller innovative Technologien zur CO 2-Vermeidung und -Abscheidung verordnen oder Ressourcen dafür bereitstellen können.
Thomas Saretzki hat in einem Überblick über den state of the art zum Thema Demokratie und Umweltpolitik gezeigt, wie vorsichtig man mit einem pauschalen Ja zur Demokratieperformanz in Sachen Umwelt sein muss. Allerdings gibt es bislang auch keinen Anlass, in den Gegenschluss zu verfallen, eine Öko-Diktatur sei am Ende doch besser für die Umwelt. Für Leistungsvergleiche ist die Datenbasis bisher zu schwach und konfus: Manche Parameter betreffen eher Umweltprogramme und commitments von Regierungen und Parlamenten, d.h. Maßnahmenpakete und die internationale Kooperationsbereitschaft eines Landes, manche eher die Umweltsituation und -performanz anhand von Land zu Land variierender Indikatoren im Zeitverlauf (z.B. Emission von Klimagasen). Erschwerend kommt hinzu, dass Demokratie- und Umweltperformanzindizes unterschiedlichen Methodenwelten entstammen. Auch hier reicht das Datenmaterial für Bewertungen, Erklärungen und politische Empfehlungen noch nicht aus – die »mixed evidence« ist immer auch »contested evidence«.
Man hat es hier also mit einer echten Forschungslücke zu tun. Worauf man in vertiefenden Fallstudien abheben muss, ist folglich die Bestätigung oder Relativierung des Zusammenhangs zwischen klimapolitischen commitments und dem tatsächlichen Erfolg dieser Maßnahmen in unterschiedlichen Regimetypen – beispielsweise einem EU-Staat, den Vereinigten Staaten, der VR China und einem liberaleren Schwellenland. Die empirische Demokratieforschung findet ein weiteres Bewährungsfeld, die empirische Umweltforschung eine zeitgemäße Zuspitzung, und auch die »Internationalen Beziehungen« können hier Impulse gewinnen. Dazu möchten wir im Folgenden einige Forschungsaufgaben skizzieren. Zugleich wollen wir bei einem solchen Forschungsprogramm, das prima facie auf eine sektorale Governance-Analyse hinausläuft, den bekannten Unterschied zwischen Input- und Output-Legitimationen von Demokratien aufgreifen und stark machen. Wer die Leistungsfähigkeit von Demokratien nicht nur normativ postuliert, sondern durch Messung und Vergleich auf den Prüfstand stellt, operiert in der Regel mit Output-Größen der Klimapolitik und Klimaperformanz. Das heißt: Welche Maßnahmen wurden konkret ergriffen, wie effizient waren diese, wie hat sich die Umweltsituation eines Landes oder einer Region konkret verändert? Bei solchen Überlegungen fällt sicherlich ins Gewicht, ob parlamentarische oder präsidentielle Demokratien in der Lage waren, responsiv, also problembewusst und problemadäquat zu handeln, Mehrheiten für aussichtsreiche Gesetze zu organisieren und sich mit anderen Akteuren regional und weltweit abzustimmen. Was dabei bisweilen hineinspielt, sind Gesichtspunkte der Verteilung von Ressourcen und Einfluss sowie deren Auswirkungen auf die Chancen »breiter Bevölkerungskreise«, auf die Formulierung und Umsetzung von Umweltpolitik Einfluss zu nehmen. Was zumeist fehlt, ist aber die Input-Dimension demokratischer Legitimität, also politische und bürgerschaftliche Partizipation als – wie wir postulieren möchten – integraler Bestandteil einer künftigen Klimapolitik »von unten«.
Die zur Zeit ebenso gängige wie eingängige Formel von der »dritten industriellen Revolution« setzt auf eine intelligente Kombination aus technischer Innovation und politischer Steuerung – »Solaranlage aufs Dach, Elektroauto in die Garage, Fördermittel mitnehmen« könnte die smarte Werbe-Formel lauten, die vor allem für die Länder des Nordens klimapolitisch eine »Win-Win-Situation« suggeriert. Aber dieser Deal wird kaum reibungslos funktionieren, weil die Kombination aus steigenden Energiekosten, ökosozialen Folgen des Klimawandels und wahrgenommener Generationenungerechtigkeit die Zustimmung zur Demokratie mehr und mehr unter Druck bringt und damit Selbstverständnis und Legitimität des demokratischen Staates gerade in Umwelt- und Klimafragen vor erhebliche Probleme stellen könnte. Um einen solchen »Kollateralschaden« der Klima- und Energieprobleme zu vermeiden, darf man eine dritte industrielle Revolution nicht so instrumentell denken wie die erste und zweite. Klimawandel heißt Kulturwandel – und somit Wandel der politischen Kultur. Auch diesbezüglich ist der Klimawandel eine Heuristik künftiger Sozial- und Kulturverhältnisse.
So findet sich in dem ansonsten hervorragenden und durchaus innovativen Konzept »Ökologische Industriepolitik«, das das Bundesumweltministerium im Oktober 2008 vorgelegt hat, kein Abschnitt, der sich mit der subjektiven Seite der Implementierung des Konzeptes befasst – mit den Bürgerinnen und Bürgern also, ohne die ein neues umweltpolitisches Paradigma wohl kaum umsetzbar sein wird. Die Ebenen, auf denen das politische Subjekt der Demokratie hier auftritt, sind allein steuer- und anreizpolitisch definiert. Dass man aber vor ganz erheblichen Implementierungsproblemen steht, wenn man die lebensweltlichen, milieuspezifischen und kulturellen Rahmen unberücksichtigt lässt, in die hinein implementiert werden soll, hat in einem anderen Politikfeld die Agenda 2010 gezeigt. Von diesem ambitionierten und sinnvollen sozialstaatlichen Umbauprojekt ist in der öffentlichen Wahrnehmung allein das psychologisch negativ konnotierte »Hartz IV« übriggeblieben, und dieser folgenreiche Befund ist das Ergebnis einer reinen Output-Fixierung, die davon absieht, Projekte des Gesellschaftsumbaus kulturell einzubetten.
Erst wenn zugleich mit der Entwicklung innovativer Konzepte der Steuer-, Subventions-, Struktur- und Forschungspolitik die Mitglieder des politischen Gemeinwesens als aktive Gestalter ihrer Gesellschaft angesprochen werden, können Veränderungen in den Lebensstilen und Handlungsoptionen realisiert werden. Dazu gehört die explizite Formulierung identitätsstiftender Zukunftsziele: Welche Gesellschaft wollen wir im Jahr 2010, 2015, 2025 sein? Und zugleich gehört dazu eine positive Bestimmung der Notwendigkeit, eine solche Zukunft unter Beteiligung und Engagement der Bürgerinnen und Bürger zu gestalten, nicht zuletzt, um von vornherein der Passivität fördernden Illusion gegenzusteuern, der Planungsstaat könne und werde es schon richten. Der Umbau der Industriegesellschaft funktioniert nur dann, wenn er als Projekt angelegt wird, in das sich die Gesellschaftsmitglieder identitär einschreiben können, ihn also als ihr Projekt begreifen. Dann wird Veränderung nicht zu einem Implementierungsproblem, sondern zu einem Identitätsgenerator. Das wiederum geht nur, wenn das Politikangebot partizipatorisch und aktivierend gedacht ist.
Die folgende Skizze problematisiert den Zusammenhang von Klimawandel und Demokratie auf vier Ebenen:
Zunächst diskutieren wir (1) das Revival des Planungsstaates in Zeiten des Klimawandels und den technokratischen und etatistischen Hang der gegenwärtigen Klimapolitik; dann wenden wir uns (2) der globalen Problematik defekter bzw. illiberaler Demokratien im Hinblick auf Umwelt- und Klimapolitik zu. Daran schließt sich (3) eine Kritik paternalistischer Ansätze in multilateralen und transnationalen Ansätzen der Klimapolitik an, worauf abschließend (4) eine Betrachtung der Instrumentarien klimapolitischer Mobilisierung »von unten« erfolgt.
Planungsstaat revisited
Ganz offensichtlich schlägt das Pendel der klimapolitischen Diskussion gerade in Richtung eines neuen Planungsstaates aus. Ein Beispiel dafür ist das einflussreiche Paper des britischen Soziologen Anthony Giddens, das am Centre for the Study of Global Governance an der London School of Economics entstanden ist und, trotz seines britischen Zuschnitts, über den Think Tank Policy Network weltweit auf politische, wissenschaftliche und journalistische Akteure einzuwirken sucht. Giddens plädiert a) für die Restitution staatlicher Autorität und b) für die Rehabilitation des Planungsstaates:
a) Wenn wir über Antworten auf den Klimawandel nachdenken, müssen wir unsere Aufmerksamkeit zu einem guten Teil dem Staat zuwenden. Internationale Vereinbarungen à la Kyoto oder Bali, die Klimaziele der EU, der Handel mit CO 2-Emissionsrechten, die Aktivitäten von Unternehmen und NGOs, all dem kommt zweifellos größte Bedeutung zu. Unbestreitbar ist trotzdem, dass in allen Ländern der Staat eine bedeutsame Rolle zu spielen haben wird als die Instanz, die Rahmenbedingungen für diese Anstrengungen setzt. Die Rolle, die in fortgeschrittenen Gesellschaften dem Staat zukommt, ist besonders wichtig, weil diese Länder eine Vorreiterrolle bei der Reduzierung ihrer Emissionen spielen müssen.
b) Wenn der Klimawandel wirklich, wie es im Stern-Report heißt, » das größte Beispiel aller Zeiten für Marktversagen « ist, dann vor allem deshalb, weil der Markt keine Zukunftsvision kennt. Gewiss lassen sich Marktkräfte für die Steuerung langfristiger Prozesse nutzen – man denke etwa an Rentensysteme oder Lebensversicherungen –, aber es bedarf dafür immer eines regulatorischen Rahmens, den normalerweise der Staat bereitstellt.
Planung impliziert des weiteren, dass die Anliegen des Umweltschutzes in alle staatlichen Instanzen eingebracht werden, sei es auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene, und dass alle staatlichen Institutionen die Belange des Umweltschutzes zur Kenntnis nehmen und darauf reagieren. Anders ausgedrückt: Antworten auf den Klimawandel zu geben, ist nicht bloß eine staatliche Aufgabe unter vielen, die man einer spezielle Behörde zuweisen könnte; vielmehr muss diese Aufgabe in das gesamte Regierungshandeln integriert werden, quer durch alle Kompetenzbereiche.
Giddens’ Plädoyer für einen aufgemöbelten Planungsstaat – die Planungsillusionen der Jahrzehnte 1930-1970 werden nicht wiederaufgelegt – liegt im Trend der Zeit. Globale Terrorgefahr, Banken- und Börsencrash und nicht zuletzt der Klimawandel haben (jedenfalls programmatisch) die Deregulierungseuphorie seit 1970 revidiert, der (nationale) Staat, laut Ronald Reagan »das Problem, nicht die Lösung«, wird als allzuständiger Damm- und Deichbauer in seine klassische Schutzfunktion zurückberufen. Damit wird ihm eine Herkulesaufgabe zugedacht, die ihn zugleich auf seine technische, die Beschützerrolle zuschneidet und ihm damit kaum Spielräume in anderen Politikfeldern belässt.
Das Risiko dieser »Sozialisierung« liegt auf der Hand: Angesichts des Klimawandels ist zweifelhaft, wie man diesem Super-Staat Zustimmung und Partizipation in schwierigen Zeiten sichern kann, wenn er »Sicherheit« nicht wie gewünscht liefert und andere Aufgaben zurückfährt. Denn schon jetzt beginnen immer mehr Bürger daran zu zweifeln, dass sie mit der Demokratie in der besten aller politischen Welten leben. Hier wechseln pessimistische mit optimistischen Einschätzungen ab. Laut einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung ist bald jeder dritte der Auffassung, die Demokratie funktioniere schlecht; unter den Ostdeutschen sind sogar 60 Prozent dieser Meinung. Angesichts »großer Themen« wie Klimawandel, globale Gerechtigkeit und demographische Entwicklung könnte sich der bestehende Eindruck verfestigen, das politische System werde den Herausforderungen nicht gerecht, das heißt: die Demokratie »liefere« nicht mehr und untergrabe damit die wesentliche Säule ihrer Glaubwürdigkeit: Output-Legitimation. Ein Viertel aller Befragten wollen »mit der Demokratie, wie sie bei uns ist«, nichts mehr zu tun haben. Sinkende Wahlbeteiligung und Mitgliederschwund in Parteien und anderen Großorganisationen (trotz des Bevölkerungszuwachses durch die Wiedervereinigung) zeigen, dass dies wohl keine punktuellen Stimmungsbilder sind, sondern Momentaufnahmen eines Trends. Auch wenn eine zweite Umfrage ein freundlicheres Bild zeigte, blieb eine große Zahl von Skeptikern und Zweiflern, die nicht antidemokratisch eingestellt, aber ausgesprochen unzufrieden sind mit der realexistierenden Demokratie. Nicht die rechtsextremistische Herausforderung, wohl aber populistische Distanz ist eine echte Bedrohung für die Demokratie.
Die Dauerprobleme auf dem Arbeitsmarkt und in den davon abhängigen Systemen der sozialen Sicherheit haben eine nachhaltige Irritation der sicherheitsorientierten Mitteleuropäer bewirkt; damit paaren sich nun Befürchtungen, die aus der Energie- und Finanzkrise erwachsen, und die bereits spürbaren Folgen des Klimawandels könnten die Zukunftsängste weiter wachsen lassen. Zugleich ist das Vertrauen in die (partei)politischen Eliten geschwunden, denen man einst durchweg Lösungskompetenz zutraute. Wenn das Demokratievertrauen schwindet, zeigt dies nicht einfach autoritäre Tendenzen an, es spiegelt vielmehr die Hilflosigkeit der politischen Eliten, Zukunftsprobleme glaubhaft zu thematisieren und überzeugend in den Griff zu bekommen. Deshalb muss man den Erosionsprozess der Demokratie ernst nehmen: Er spiegelt auf der einen Seite die Zukunftsängste derjenigen, die sich bis weit in den Mittelstand hinein als Modernisierungsverlierer wahrnehmen, auf der anderen Seite aber auch die realistische Einschätzung, dass die politischen Führungsschichten auch nicht wissen, wie es weitergehen soll. Für den Konnex zwischen Demokratie und Umweltperformanz wesentlich und empirisch näher zu ergründen ist also, ob Klimawandel und Klimapolitik die Input-Legitimation antasten und unterminieren.
Unter Forschungsgesichtspunkten leitet sich daraus die Forderung ab, von der Perspektive der Akzeptanzforschung hin zu einem sozialökologischen Forschungsparadigma zu kommen, das Praktiken der Alltagsbewältigung unter Veränderungsdruck zu beschreiben erlaubt – wie sie etwa unter Bedingungen verschärften Energiesparens und gewachsenen Klimabewusstseins sichtbar werden. Bei der Suche nach vorhandenen Veränderungspotentialen kann an die psychologische Empowerment-Forschung ebenso angeknüpft werden wie an bewährte Verfahren der empirischen Sozialforschung, von der Beobachtung über die Gruppendiskussion bis hin zur Umfrage. Die Perspektive gilt hier den lebensweltlichen Handlungsbedingungen und -optionen, deren empirische Erfassung Hindernisse und Chancen des Gesellschaftsumbaus identifiziert.
Autokratien und illiberale Demokratien auf dem Vormarsch?
Nach 1989 schien der Weg bereitet für eine »vierte Welle« der Demokratisierung, die nun auch den kommunistischen Machtbereich und die autoritär verfassten Schwellenländer erreichte. 20 Jahre später fällt die Bilanz eher gemischt aus. Neben nachhaltigen Demokratisierungserfolgen kann man feststellen, dass in einigen Ländern und ganzen Regionen das Modell der westlichen Demokratie wenig attraktiv ist bzw. an Bedeutung verliert. Die Modernisierungstheorie war mit einiger Selbstsicherheit davon ausgegangen, der wirtschaftlichen Liberalisierung werde die politische wie mit Naturnotwendigkeit folgen – wer »Ja« zum Kapitalismus sage, müsse auch die Demokratie in Kauf nehmen. Auf diese Weise wuchs die Hoffnung, die Welt werde über kurz oder lang ein einziger großer Westen sein. Offenbar ist die chinesische Führung anderer Meinung, genau wie die russische: Kapitalismus geht auch ohne Demokratie, und sogar schneller. Die umständlichen und langwierigen Prozeduren der Meinungs- und Urteilsbildung, der Vorlagen, Anhörungen und Abstimmungen, all diese zeitraubenden Legitimationsverfahren fallen in Autokratien weg; man kann umstandslos drauflosmodernisieren. Wo in westlichen Demokratien schon die Einrichtung eines Windparks zu einer jahrelangen Angelegenheit wird, kann ein Zentralkomitee Kohlekraftwerke buchstäblich im Wochentakt in die Landschaft pflanzen.
Der Verzicht auf Demokratie erwies sich dort offenbar nicht als Hemmschuh der Entwicklung, sondern als Modernisierungsbeschleuniger, und wer sieht, wie subtil die chinesische Führung daran arbeitet, das Systemvertrauen durch die Abmilderung von Härten und die Verteilung von Gratifikationen stabil zu halten, kann nicht so sicher sein, dass dieses System schon deshalb verlieren wird, weil es nicht demokratisch ist. Und womöglich motiviert ein solches »Erfolgsmodell« sogar auch hier zu Lande technokratische Planungsillusionen. Diese bedenkliche Entwicklung spiegelt, dass die wirtschaftliche Globalisierung zu erheblichen Verschiebungen in der Tektonik der Weltgesellschaft geführt hat. Die frühindustrialisierten Länder driften möglicherweise aus dem Zentrum der globalen Veränderungsdynamik heraus und sind fallweise tatsächlich bereits Zuschauer eines Spiels, in dem sie sich weiterhin für Hauptdarsteller halten. Sicherlich haben sich formal-demokratische Prozeduren auch in »gelenkten Demokratien« durchgesetzt, aber zu Recht hat man an der von den USA ausgehenden Demokratisierungspolitik in Osteuropa, Russland und in der arabisch-islamischen Welt kritisiert, dass hier Wahlen abgehalten wurden, bevor rechtsstaatliche Strukturen, effektive Gewaltenteilung und eine zivilgesellschaftliche Kultur verankert waren. Wo sämtliche Ligaturen der liberalen Demokratie fehlen, spricht Fareed Zakaria zutreffend von der Beförderung »illiberaler Demokratien« und Wolfgang Merkel von »defekten Demokratien«.
Mit dem Schwinden des Modellcharakters des Westens gerät die Demokratie westlichen Typs auch von außen unter Druck; Wege in eine andere Moderne zeichnen sich ab. Zugleich werden die ökologischen Probleme in den neu-industrialisierten Ländern zunehmen und sich Finanzkrisen dort entsprechend auswirken. An Fällen wie Thailand kann man bereits studieren, wie diese Entwicklungen nicht etwa demokratische und zivilgesellschaftliche Bewegungen und Strukturen stärken, sondern das erreichte Niveau der Demokratisierung unterlaufen und populistischen Protest befördern. In dieser Lage gelingt es telegenen Links- und vor allem Rechtspopulisten, sich »als jene Kraft zu präsentieren, die außerhalb der geschlossenen Welt der politischen Eliten steht, die für und mit den Menschen spricht und der es gelingt, jener formlosen Masse in der Mitte der moderner Gesellschaften Identität zu verleihen.«
Hier ist aus Sicht der Forschung eine Revitalisierung der Gesellschaftstheorie notwendig, die unter erheblichen normativen Beschränkungen und unter empirischer Rückständigkeit leidet. Das Gesellschaftsmodell, das sich am Interventions- und Territorialstaat orientiert, ist über den OECD-Raum hinaus in nur wenigen Fällen realisiert worden und bleibt selbst dort stets rückfallgefährdet. Wir verfügen aber so wenig über eine ausgearbeitete Theorie der Regressions- bzw. Ausbreitungspotentiale dieses Modells wie über eine Theorie zu nicht-linearen, asynchronen und kontingenten, kurz: unerwarteten Gesellschaftsentwicklungen. Obwohl die Gesellschaften sowohl durch die Folgen der Globalisierung wie durch die des Klimawandels vor erheblichen Herausforderungen stehen, müssen sie also erstaunlicherweise ohne eine angemessene Modellvorstellung über sich selbst und ihre Entwicklungsdynamik auskommen, woraus das Problem resultiert, dass Steuerungs- und Interventionspolitiken weitgehend ohne theoretische Rahmenvorgaben stattfinden müssen.
Partizipation statt Paternalismus: Globale Klimapolitik
Diese komplexe Problematik möchten wir an einem Beispiel erläutern: Eine Solarpartnerschaft mit Afrika, an deren Sinn gar kein Zweifel bestehen kann, bliebe ohne afrikanische Partizipation auf Augenhöhe ein Torso. Aus EU-Sicht würde damit nur die »ökologische Industriepolitik«, der sich viele national und supranational verschrieben haben, globalisiert. Der Ansatz leidet unter seinem Vertrauen und seiner Beschränkung auf »politische Technologie«, also das gedeihliche Zusammenwirken von Gesetzgebung, technischer Innovation und Anreizen für Investoren und Konsumenten. So wichtig diese Konvergenz ist, als Klimaschutz- und Präventionstrategie greift das eindeutig zu kurz. Der »top down«-Ansatz, der die im September 2008 vereinbarte Energiepartnerschaft EU-Afrika kennzeichnet, muss »bottom up« unterfüttert werden.
Doch die Klima-Kooperation mit Afrika rechnet offenbar auf die Geneigtheit der militärgestützten Staatsklassen in Afrika, die Masse der Bevölkerung wird nicht einbezogen, ebenso wenig wie bei der Implementierung des »Elektrizitätsgesamtplans für Afrika«, der kürzlich in Addis Abeba und Brüssel verhandelt worden ist. Insofern steht das Vorhaben in der Tradition großtechnischer Megaprojekte der kolonialen und postkolonialen Zeit und hebt ebenso wenig wie das Gros der nachfolgenden Entwicklungspolitiken darauf ab, das Nord-Süd-Gefälle und die Abhängigkeit Afrikas von der schmalen Schicht politischer und wirtschaftlicher Potentaten zu verringern. Eine transnationale Kultur der Teilhabe wird von den autoritären und korrupten Regimen verhindert, die an der Nabelschnur westlicher Staaten, Konzerne und Hilfsorganisationen hängen und einer offenen Zivilgesellschaft misstrauen. Insofern setzt das Gelingen von Entwicklungskooperation nicht nur mehr Partizipation voraus, sondern nicht weniger als die Demokratisierung der afrikanischen Staaten oder wenigstens eine Konditionierung von Kooperation durch »good governance«.
Eine echte Solarpartnerschaft Afrika-Europa darf nicht als Einbahnstraße konzipiert werden, sondern sollte den afrikanischen Partnern eine faire und autonome Entwicklungschance bieten, die sie unter den vorherrschenden Bedingungen heutiger Entwicklungszusammenarbeit in der Regel nicht haben. Auch wenn man sich vor radikalen Schlussfolgerungen der Art hüten muss, Entwicklungshilfe sei besser ganz abzuschaffen, kann gerade im Hinblick auf die am wenigsten entwickelten Länder Afrikas südlich der Sahara vom Versagen dieser Politik gesprochen werden. Dies betrifft die akute Katastrophenhilfe genauso wie die mittelfristige Entwicklungs-Zusammenarbeit, die nicht-intendierte und – z.B. im Fall von humanitärer Hilfe unter Kriegsbedingungen – perverse Effekte zeitigen, weil Hilfsgüter zum Teil wissentlich und willentlich in Korruptionsschemata eingebaut werden. Solarpartnerschaft muss solche Effekte von vornherein zu verhindern suchen und sie kann nicht allein darauf ausgelegt sein, unter der Prämisse des Klimaschutzes die Versorgungsprobleme der Europäischen Union zu lösen.
Energiepartnerschaften müssen also im Gegenteil direkt und indirekt zur Eindämmung der schwersten und langfristigen Klimawandelfolgen in Afrika beitragen. Das International Panel on Climate Change (IPCC) hat schon 2001 ausgeführt, dass Afrika besonders wenig zum Klimawandel beigetragen hat, aber besonders schwer davon betroffen ist. Fragile Gesellschaften befinden sich von vielen Seiten her unter Druck: traditionelle Strukturen erodieren, ohne dass funktionierende moderne an ihre Stelle treten würden; es existiert kein Gewaltmonopol, sondern es agieren konkurrierende, oft private Gewaltakteure; die Verletzlichkeit gegenüber sozialen, klimatischen oder sonstigen natürlichen Veränderungen ist extrem hoch, während die Bewältigungsmöglichkeiten extrem gering sind. Der Staat tritt, wenn es so weit gekommen ist, nicht mehr als Akteur auf, sondern bietet politischen, unternehmerischen und militärischen Eliten oder Gewaltunternehmern bloß noch ein Instrument zur Durchsetzung ihrer Interessen. Allenfalls liefert er für die Bevölkerung einen paternalistischen Referenzrahmen, der für Mobilisierungen zur Gewalt, wie im Fall Darfurs oder Ruandas, höchst geeignet ist.
Der Report Up in Smoke 2 (September 2008) verdeutlicht den engen Zusammenhang zwischen Klimaschutz, Hungerbekämpfung, nachhaltiger Landwirtschaft und der Stärkung lokaler Gemeinschaften und empfiehlt
– an die lokal vorhandenen Bewältigungsstrategien anzuknüpfen und erfolgreiche Adaptierungsweisen an die Seite wissenschaftlich entwickelter Konzepte zu stellen;
– die Katastrophenrisiken durch Vorsorge zu reduzieren, indem auf relativ preiswerte und leicht zu implementierende Maßnahmen aus dem Baukasten der disaster risk reduction (DRR) zurückgegriffen wird.
– die Strategien humanitärer Hilfe zu reformieren. Wenn Hunger heute überwiegend aus Armut und nicht aus Nahrungsmittelknappheit resultiert, kann es sinnvoller, billiger und schneller sein, mit Geld statt mit Hilfsgütern zu helfen.
– die Förderung kleinräumiger Agrikultur als Schlüssel für die Hungerbekämpfung : »Even allowing for the extraordinary pace of urbanisation in Africa, the majority of the continent’s poorest and most undernourished people live in rural areas – especially smallholders, nomadic pastoralists, and women. The joint effort to eradicate poverty promised by African governments and donor governments must therefore deliver rural policies that involve and prioritise these vulnerable groups. Even small improvements in what they produce and earn, in access to health, education and clean water, will have major impacts in reducing hunger, as well as driving equitable growth.«
Eine Illusion, die sich daraus vielleicht ableiten ließe, sollte die künftige Entwicklungskooperation mit Afrika allerdings vermeiden: dass der Norden als Gewinner des Klimawandels bereits feststeht, der Süden hingegen (und hier ganz besonders Afrika) als großer Verlierer. Mag man auch glauben, Europa werde von den Unbilden des Wetters weniger betroffen sein und mit neuer Umwelttechnologie sich selbst und dem Rest der Welt helfen – die Folgen von Dürre schlagen bereits heute in Gestalt von Klima-Flüchtlingen auf das darauf ziemlich schlecht vorbereitete Europa zurück. Und während der Norden in punkto Katastrophenbewältigung auf den fürsorglichen Staat fixiert ist, könnte in den politischen Systemen Afrika, wo Staatlichkeit in massiver Weise gescheitert ist und solche Erwartungen an korrupte Regime nicht bestehen, die Menschen eventuell sogar besser auf Selbsthilfe und Selbstorganisation vorbereitet sein. Das ist natürlich kein Plädoyer für Entstaatlichung, aber es zeigt erneut, wo Europa (nicht nur in Sachen Klima!) auch von Afrika lernen kann. Und im Geiste eben dieser Wechselseitigkeit muss auch Energiepartnerschaft konzipiert werden. Unter Forschungsgesichtspunkten gilt hier die Aufmerksamkeit ähnlich wie im ersten Abschnitt Untersuchungsansätzen, die einerseits lokale Ausgangsbedingungen für Empowerment-Strategien identifizieren können und andererseits best practices unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen historischen und soziokulturellen Erfolgsbedingungen erfassen und auf dieser Basis Implementierungsstrategien entwickeln.
Vom Kommunikationsmanagement zur Demokratiekompetenz
Abschließend kehren wir zurück zu den Kernzonen der liberalen Demokratie westlichen Typs und widmen uns der (analog auch für neue Demokratien wesentlichen) Frage, warum sozialethische und politische Handlungsbereitschaft, die im Blick auf den Klimawandel sowohl individuell wie kollektiv vorhanden ist. selten Instrumentarien partizipatorischer Demokratie vorfindet, die solche Dispositionen in effektives politisches Handeln umsetzen würden. Wir können diese Problematik auf das bekannte Partizipationskontinuum konventioneller und unkonventioneller Beteiligung abbilden, das von der gelegentlichen Stimmabgabe bei Wahlen über diverse Formate zivilgesellschaftlicher Beteiligung bis zu gewaltförmigem Protest reicht, wobei idealtypisch unterschieden werden kann zwischen Handlungsformen, die auf staatliches Handeln bauen, und solchen, die auf das Engagement und die Selbsttätigkeit von Individuen und Gruppen abzielen. Aus ökologischen Bewegungen im 20. Jahrhundert und jüngeren Nachhaltigkeitsinitiativen (etwa Lokale Agenda 21) kennt man zahlreiche, politisch-kulturell divergierende Muster, die von Wertewandel begleitet waren und sich politisch-institutionell in veränderten Konfliktlinien, Parteigründungen, massenhafter Straßenmobilisierung und einer ganzen Palette sozial-ökologischer Projekte niedergeschlagen haben. Zu fragen ist hier, welche Spezifik im Verhältnis dazu »klimapolitisches« Bewusstsein und Engagement aufweisen, das von vornherein schwieriger »lokalisierbar« ist als Anti-AKW-Protest oder alternativer Konsum. So könnten sich im Bereich diesseits des »Deichbaus« durch staatliche Vorsorge- und Katastrophenschutz-Politik Aktivitäten zum Klimaschutz entwickeln, die das eigene klimaschädliche Verhalten zu korrigieren und daran Formen neuen »guten Lebens« zu befördern trachten. Darauf sind sowohl NRO-Aktivitäten als auch lokale Initiativen zu untersuchen, etwa im Bereich der ökologischen Landwirtschaft, der auf regionale Märkte rekurrierenden Ernährung, des Car Sharing,Atmosfair und anderer Mobilitätsvermeidung bis hin zu Formen des Zertifikatshandels.
Wer solche bis dato nur von bestimmten Sozialmilieus präferierte Werte- und Einstellungsmuster auf Partizipationsfreundlichkeit und Demokratieverträglichkeit abklopfen will, muss dann sowohl sozialstrukturelle Aspekte sozialer Ungleichheit als auch die generelle Partizipationsdisposition »postdemokratischer« Gesellschaften zur Grundlage nehmen. Beide sind von Exklusionen bzw. Selbst-Exklusionen bestimmt, die man durchgängig durch alle Schichten und Milieus antreffen kann. Als typische Kandidaten für Demokratieverdrossenheit gelten meist Langzeitarbeitslose, Hartz-IV-Empfänger und schlecht Qualifizierte, aber Globalisierungsfolgen und steigende Energiekosten ziehen auch die Mittelschichten in einen gefühlten Abwärtssog. So regen sich selbst in der Mitte der Gesellschaft Zweifel an der Funktionsfähigkeit des Systems; in einigen Umfragen wähnen bis zu 90 Prozent der Deutschen, dass die demokratischen Parteien schwierige Probleme schlicht nicht lösen können, und fast alle sind der Auffassung, dass die Eliten vor allem an ihrem eigenen Wohlergehen interessiert sind.
Pauschal lassen sich fünf »Problemgruppen« identifizieren:
– Ostdeutsche, die unter dem Eindruck eines Nationalpopulismus rechter und linker Provenienz stehen;
– einheimische »Unterschichten«, bei denen sich Anomiephänomene zeigen;
– junge männliche Einwanderer, die unter Erscheinungen von Bildungsarmut und Diskriminierungserfahrungen leiden;
– islamistische Muslime, die der westlichen Moderne und der Demokratie als Herrschafts- und Lebensform radikal kritisch gegenüberstehen;
– demokratie- und staatsabgewandte Teile des Managements.
Auch im Zusammenhang von Klimawandel und Demokratie stellen diese besonders demokratieabgewandten Gruppen Problemfälle dar, neue könnten hinzukommen. Allerdings wird Demokratieverdrossenheit auch von staatlicher Seite induziert: Eine Kernproblematik dürfte dabei sein, dass der Wohlfahrtsstaat nicht aufgehört hat, eine Fürsorgebereitschaft zu behaupten, die er in Wahrheit nicht mehr leisten kann. So wird zum Beispiel die lauter werdende Forderung nach Kompensation der gerade für untere und mittlere Einkommensgruppen dramatisch steigenden Energiekosten in Enttäuschung umschlagen: Keine Demokratie der Welt kann dafür einstehen, wenn Ressourcen knapper und damit teurer werden, und wenn sie Vertrauen erhalten will, muss sie paradoxerweise einräumen, dass sie es nicht kann. Man kann sich ausmalen, was geschieht, wenn steigende Energiekosten bis in die Mittelschichten hinein den Lebensstandard sinken lassen und die Bezieher von niedrigen Einkommen ihre Wohnungen schlicht nicht mehr heizen können. Unwägbarkeiten der privaten Existenz werden in modernen Gesellschaften durch Institutionen stabilisiert. Was aber, wenn intermediäre Instanzen wie Parteien, Gewerkschaften, Kirchen und Einrichtungen der Gesundheits- und Sozialversorgung etc. diese Funktion kaum noch übernehmen können? Werden die Gewerkschaften und Kirchen sich dann zu Agenturen des citizen empowerment und klimapolitischen Akteuren entwickeln, werden sie Allianzen mit NRO eingehen oder ihnen das Feld überlassen?
Die Zukunft der westlichen Demokratie liegt sicher nicht in der Rückkehr des Planungsstaates, der seine Segnungen geschickt kommuniziert, sondern in der Revitalisierung von Teilhabe und Mitsprache. Die Bürger werden nur auf diese Weise am Prozess des intelligenten Rückbaus der Industrialisierungsfolgen mitwirken können, der ihnen sonst als aufgezwungene Verzichtsleistung erscheinen muss. Plausible Zielsetzungen wie »Ressourceneffizienz« werden nur zu erreichen sein, wenn die Betroffenen zu Mitwirkenden werden und in die Operationalisierung klimapolitischer Vernunft einbezogen sind. Suggeriert der Staat dagegen nur einen Willen zur Fürsorge, die er gar nicht gewährleisten kann, untergräbt er die Fundamente der Demokratie. Er verzichtet achselzuckend auf das Engagement derjenigen, ohne die der notwendige Umbau des Lebensstils gar nicht zu realisieren ist.
Integration bedeutet Teilhabe, nicht Versorgung, und diese muss – so wenig das im Trend liegen mag – durch »mehr Demokratie«, also innovative Formen direkter Beteiligung gestärkt werden. Um zu verhindern, dass sich strukturell große Gruppen ausgeschlossen fühlen oder in urbanen Räumen auch Mehrheiten »abgehängt« werden, muss wieder die Erfahrung vermittelt werden, dass politische Partizipation echte Wirksamkeit bedeuten kann. In vielen Fällen ist das Rückzugsverhalten bei Wahlen weniger ein kognitives oder Wissensproblem, dem man mit klassischer politischer Bildung begegnen könnte, als eine Reaktion auf Enttäuschungs- oder Frustrationserfahrungen bei Bürgern, die durchaus partizipationsbereit sind und über ausreichend politisches Institutionenwissen und kognitive Ressourcen verfügen. Es mangelt an »Wissen zum wie«, an praktisch-instrumentellen Demokratiekompetenzen, um Ideen und Interessen wirksam werden zu lassen. Abhanden gekommen ist die schiere Fähigkeit, eigene Interessen zu artikulieren und in der politischen Auseinandersetzung durchzusetzen. »Politik« ist zu einem opaken sozialen Raum geworden.
Gerade der aus dem Klimawandel resultierende lebensweltliche Veränderungsdruck bietet die Chance, am Arbeitsplatz, im Stadtviertel, in der Gemeinde und in den sozialen Netzwerken wieder konkretes Handlungswissen über Funktionsweisen des (kommunalen) politischen Systems zu vermitteln und regelrecht einzuüben. Als sogenannte »Mediendemokratie« bleibt Volksherrschaft eingespannt in mediale, vor allem visuelle Übersetzungen. Politik konkurriert dabei hilflos mit unterhaltsameren Medienangeboten und Präsentationsformaten, die zweifellos mehr appeal besitzen. Problematischer noch ist die Suggestion aktiver Beteiligung durchs bloße Zuschauen – selten wusste das Publikum mehr als heute, aber es bleibt auf der Couch sitzen. Die »gefühlte Partizipation« ist jedenfalls weit stärker als die tatsächliche, und diese Schieflage wird wiederum unterstützt durch die Allzuständigkeitsanmutung, die Politikerauftritte erzeugen – mit dem Effekt wachsender Enttäuschung über die in Wahrheit eher schwindende Zuständigkeit vor allem staatlicher Politik bei akuten und vor allem langfristigen Problemfällen.
Auf der Suche nach Akteuren, die Demokratiekompetenz besitzen oder erwerben könnten, richtet sich der Blick immer weniger auf die Berufs-Politik. Manche sehen Chancen für eine Wiederbelebung bürgergesellschaftlicher Partizipation in Ansätzen aktiver Konsumentenverantwortung. Gerade der Verbraucherschutz eigne sich dazu, handwerkliche Demokratiekompetenz zu erlernen, etwa mit der scheinbar trivialen Frage: »Wie erreiche ich, dass wir unsere Schule durch eine lokale Bio-Molkerei beliefern lassen?« Analoge Fragen des Klima- und Umweltschutzes eröffnen demnach neue Möglichkeiten des politischen Engagements, das überdies stets lokale und regionale mit globalen Agenden verbindet.
Es wäre naiv, die umwelt- und klimapolitischen Reformen einzig auf die Kraft von Sonne und Wind in einer »dritten industriellen Revolution« und auf die Implementierungsfähigkeit ihrer Governance-Strukturen zu setzen, während Ansätze von citizen education und citizen empowerment immer nur am Rande gestreift und dann vor allem als Akzeptanzproblem neuer Technologien, als Vollzugsdefizit der Gesetzgebung oder Informationsmangel des rational kalkulierenden Verbrauchers verstanden werden. In den Überlegungen zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels können zentrale Fragen demokratischer Teilhabe endlich entdeckt und ernst genommen werden. Der sozial- und kulturwissenschaftlichen Forschung kommt dabei eine Renaissance ihrer Entdeckerrolle zu; der Politik stellt sich die Aufgabe, das ernst zu nehmen, was an Handlungsstrategien und Innovationspotentialen auf Seiten der Bürgerinnen und Bürger entdeckt wird.
Postscriptum
Der keineswegs plötzliche Einbruch der »Finanzkrise« (gemeint ist das unverantwortliche Spekulationsgebaren an Banken und Börsen aufgrund einer von den OECD-Staaten verantworteten und bereitwillig eingegangenen Deregulierung seit den 1970er Jahren) lässt die »Klimakrise« (und übrigens auch die »Terrorkrise«) in einem neuen Licht erscheinen und stellt insofern auch die demokratische Frage neu. Dass Regierungen, Zentralbanken und transnationale Agenturen den Staat wieder einbringen und nun Mittel aufbringen in einer vielfachen Höhe dessen, was für den Klimaschutz angeblich nicht aufzutreiben war, demonstriert nur scheinbar, dass der Staat zu einer aktiven Infrastrukturpolitik zurückkehren kann. Denn in Wahrheit dürfte sich die Staatsfunktion auf eine minimale, fast frühneuzeitliche Schutzfunktion in Notstands- und Ausnahmesituationen beschränken, in der er, der Staat, als Deichbauer tätig wird, nun aber alle »aktiven« Aufgaben von der Bildungs- über die Sozial- bis zur Umweltpolitik privatisieren könnte und in allen Fällen nur eine Art Notstandsregime installiert, das dann auf Bürgerbeteiligung nicht lange warten und Rücksicht nehmen kann. Wie schon der »War Against Terror« als Geheimdienstaufgabe definiert wurde, wird nun auch die Finanzkrise mit dem Schleier der Unwissenheit überdeckt – die Kunden dürfen nicht wissen, wie es tatsächlich um Ihre Ersparnisse, Altersvorsorge und Bonität steht.
Sobald der Hebel von präventivem Klimaschutz auf Katastrophenvorsorge und -nachsorge umgelegt wird, könnte in der Umweltpolitik Ähnliches eintreten. Insofern hat die Finanzkrise den Übergang in eine »postdemokratische« Gesellschaft beschleunigt, mit womöglich katastrophalen Folgen für die Klimapolitik. Drei Reaktionen scheinen denkbar. Der best case: Aus der Finanzkrise lernen politische Akteure, dass sie in der Klimapolitik nicht so lange abwarten dürfen wie bisher, und sie schützen die Märkte nicht nur durch staatliche Finanzgarantien, sondern beleben sie durch Klimainvestitionen verschiedenster Art. Der worst case: »Klimapolitik können wir nicht mehr bezahlen« – eine Reaktion, die das ehrgeizige EU-Klimaschutzpaket bereits akut bedroht. Regierungen wie die deutsche, die ihre Hausaufgaben nicht erledigen und sich von der Auto-Lobby unter Druck haben setzen lassen, können so argumentieren, Klima-Skeptiker in Osteuropa oder Afrika ohnehin. Es gibt aber noch den allerschlechtesten Fall: Wenn Finanzkrise und Klimakrise sich auf die Weise verschlingen, dass der Handel mit Emissionszertifikaten zum Spekulationsobjekt wird und die nächste Spekulation aufbläst.
Anmerkungen
Anthony Giddens, »The Politics of Climate Change: National responses to the challenge of global warming«, www.policy-network.net/uploadedFiles/Publications/Publications/The_politics_of_climate_change_Anthony_Giddens(2).pdf; dt. Fassung (gekürzt) im vorliegenden Heft.
Colin Crouch, Postdemokratie, Frankfurt a.M. 2008.
Harald Welzer, Klimakriege. Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird, Frankfurt a.M. 2008, S. 181ff.
Wilhelm Heitmeyer (Hg.), Deutsche Zustände, Folge 6, Frankfurt a.M. 2007.
Heinz Bude, Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft, München 2008.
Tanja Busse, Die Einkaufsrevolution. Konsumenten entdecken ihre Macht, München 2006.
Tr@nsit online, 2009
Copyright © 2009 by the author & Transit – Europäische Revue. All rights reserved. This work may be used, with this header included, for noncommercial purposes. No copies of this work may be distributed electronically, in whole or in part, without written permission fromTransit.